Theologe des Judenhasses machte DDR-Karriere
von Gernot Facius
Er wollte das Alte Testament aus dem Leben der Kirche
eliminieren, gab ein Neues Testament ohne hebräische Worte heraus
und lieferte die religiöse Legitimation zur Judenvernichtung: Walter
Grundmann. Nach 1945 machte der Leiter des "Entjudungsinstituts"
in der DDR Karriere.
Bornstrasse 11 in Eisenach: Die Nennung dieser Adresse
stürzt kundige Bürger der Bach- und Luther-Stadt in Verlegenheit.
Das stattliche Haus beherbergte nämlich nicht nur ein traditionsreiches
evangelisch-lutherisches Theologenseminar, in ihm war auch bis 1945 eine
antijüdische Giftküche untergebracht, aus der die Zutaten für
rassistische Predigten der NS-nahen "Deutschen Christen" kamen:
das "Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen
Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben", im Jargon "Entjudungsinstitut"
genannt, von elf evangelischen Landeskirchen finanziert - Chiffre für
die theologischen Verirrungen eines großen Teiles des Protestantismus.
"Jesus war ein Arier"
Gegründet wurde das Institut am 4. April 1939 auf
der Wartburg (!), wo Luther einst die Bibel übersetzte. Es ist untrennbar
mit dem Namen seines "wissenschaftlichen Leiters", des Jenaer
Neutestamentlers Walter Grundmann (1906-76) verbunden, der in Adolf Hitler
ein "Gnadenwunder Gottes" sah. Die Judenfrage, schrieb er 1932
in seiner Schrift "Gott und die Nation", sei im letzten Grunde
nicht allein eine Rassenfrage, sondern eine religiöse Frage. Als
frisch ernannter Professor für "Völkische Theologie und
Neues Testament", ohne Habilitation, hatte Grundmann 1936 den Hebräischunterricht
für seine Studenten abgeschafft, in der Eisenacher Bornstrasse ging
er daran, das Alte Testament aus dem Leben seiner Kirche zu eliminieren.
Das Institut gab ein um alle hebräischen Bezüge und Worte wie
Amen, Hosianna und Halleluja, gekürztes Neues Testament unter dem
Titel "Die Botschaft Gottes" und einen Katechismus "Deutsche
mit Gott" heraus. Jesus, so die zentrale Aussage, sei Arier gewesen:
"Jesus aus Nazareth in Galiläa erweist in seiner Botschaft und
Haltung einen Geist, der dem Judentum in allen Stücken entgegengesetzt
ist. Der Kampf zwischen ihm und den Juden wurde so unerbittlich, dass
er zu seinem Kreuzestod führt. So kann Jesus nicht Jude gewesen sein."
Schon 1934 hatte Walter Grundmann Jesus aus Galiläa
als "Wunderneuschöpfung" definiert. Die Galiläer,
so die These des NSDAP-Mitglieds, seien ein arischer Stamm im jüdischen
Herrschaftsgebiet gewesen, denen der mosaische Glaube aufgezwungen worden
sei. "Christus ist nicht Spross und Vollender des Judentums, sondern
Todfeind und Überwinder." Anders, wenn auch nicht minder antijüdisch,
hatte sich schon 1938 der Solinger Superintendent Alfred Thieme in seiner
Karfreitagspredigt geäußert: "Wer dieses Volk (die Juden)
nicht hasst, der hasst Christus und sein Kreuz!"
DDR-Kollegen "begeistert" von Grundmann
Grundmanns Institut hatte an die 200 Mitarbeiter - in
Eisenach und in den Landeskirchen. Es gab sogar einen Arbeitskreis für
katholische Fragen. Von ihm wurde unter anderem die Behauptung verbreitet,
der nach-tridentinische Katholizismus sei ein "Opfer des giftigen
Einflusses des Judentums". Mit Kriegsende war diese pseudo-wissenschaftliche
Arbeit zu Ende. Nicht so sehr für den "wissenschaftlichen Leiter"
des "Entjudungsinstituts". Der alte Parteigenosse verlor zwar
trotz Anbiederung an die neuen Machthaber seine Professur, aber er konnte
1950 eine Predigerstelle im thüringischen Waltershausen erlangen.
Von 1957 bis 1975 war Grundmann dann am Katechetenseminar in Eisenach
als Dozent und Rektor tätig, zudem erhielt er Lehraufträge an
der Kirchlichen Hochschule zu Naumburg und am lutherischen Theologischen
Seminar in Leipzig. In der Evangelischen Verlagsanstalt veröffentlichte
er in den Sechzigern unter anderem Kommentare zu den Evangelien. Er vertrat
zwar keine völkischen Thesen mehr, wohl aber nach dem Urteil des
Jenaer Theologen Wolfgang Schenk modifizierte Formen seiner von ideologischen
Vorurteilen geprägten Auffassungen über die Juden. Viele Thüringer
Katecheten, Pfarrer, Pastorinnen und andere kirchliche Mitarbeiter hätten
Walter Grundmann in jener Zeit als einen Lehrer kennengelernt, der mit
seinem enormen Gedächtnis und pädagogischen Geschick "durchaus
begeistern konnte", kommentierte "Glaube und Heimat", evangelisches
Wochenblatt für Thüringen, zum 100. Geburtstag des umstrittenen
Theologen im Jahr 2006.
Die evangelisch-lutherische Landeskirche hat die peinliche
Vergangenheit des Hauses Bornstrasse 11 nicht verschwiegen, aber erst
Mitte der Neunziger befasste sie sich intensiver mit der Geschichte des
"Entjudungsinstituts"; ein jetzt in Jena präsentierter
Sammelband widmet sich vor allem der Person seines "wissenschaftlichen
Leiters".
Vom Schreibtisch aus die "Legitimation der Vernichtung
der Juden" geliefert
"Ich bin nicht der Richter von Walter Grundmann,
zum Glück nicht", sagt der Berliner Theologieprofessor Peter
von der Osten-Sacken. "Aber wir haben die Pflicht, kritisch zu sein,
auch bittere Wahrheiten auszusprechen und damit weh zu tun." Grundmann
habe vom Schreibtisch aus die "religiöse Legitimation zur Vernichtung
der Juden geliefert" und "die Kirche zum Büttel des Staates
gemacht". Schwer wiegt auch Sacken-Ostens Urteil über die Nachkriegstätigkeit
des einstigen Professors, der 1975 zum Kirchenrat ernannt wurde: Grundmann
habe "außerordentlich viel an Negativaussagen" über
das Judentum in seine Bücher übernommen, "nur notdürftig
ihrer völkischen Farbe entledigt".
Die nationalsozialistische Vergangenheit des Theologen
war seinen Schülern und Studenten in der DDR nicht verborgen geblieben.
Sie sprachen Grundmann offen darauf an. "Wissen Sie, meine Herren,
da kann ich nur von Schuld reden und auf Vergebung hoffen", antwortete
lapidar der ehemalige prominente Nationalsozialist im Kirchendienst. Grundmann
liegt in Eisenach begraben, der Stadt seines verhängnisvollen Wirkens.
Für seine Trauerfeier hatte er sich ein Stelle aus dem Lukas-Evangelium
ausgesucht: "Meine Augen haben den Heiland gesehen. Nun lässt
du deinen Diener in Frieden fahren." Die wissenschaftliche Auseinandersetzung
mit dem unseligen Irrweg, den Teile der evangelischen Kirche unter Hitler
eingeschlagen haben, geht weiter. Ein Ende ist noch nicht abzusehen. Aber
Christen beider Konfessionen betonen heute ausdrücklich die jüdischen
Wurzeln ihres Glaubens.
Die Welt, 8.11.2007
Buchhinweis: Roland Deines, Volker Leppin, Karl-Wilhelm
Niebuhr (Hrsg.): Walter Grundmann. Ein Neutestamentler im Dritten Reich.(Arbeiten
zur Kirchen- und Theologiegeschichte 21). Evangelische Verlagsanstalt,
Leipzig. 386 S., 48 Euro.
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