Land in Sicht
Vor 70 Jahren sicherte der britische Außenminister Arthur Balfour
den Juden eine "Heimstatt" zu
von Simon Erlanger und Erik Petry
Der europäische Krieg, der im August 1914 ausbricht,
weitet sich rasch zu einem Weltkrieg aus. Mit dem Zarenreich, dem Habsburger-
und dem Osmanischen Reich zerbrechen Imperien, die seit dem Spätmittelalter
Bestand gehabt hatten. Zusammen mit Frankreich bildet Großbritannien
im Ersten Weltkrieg den Kern der alliierten Mächte. Um das Osmanische
Reich als Verbündeten Deutschlands zu destabilisieren, suchen Großbritannien
und Frankreich ihrerseits Verbündete, die mit Versprechungen für
die Zeit nach dem Krieg ins alliierte Lager gelockt werden sollen. Aus
der Erbmasse des Osmanischen Reiches sollen diese potenziellen Verbündeten
Territorien zugesprochen bekommen. So stehen etwa seit 1915 der Herrscher
eines großen Teils der arabischen Halbinsel, der Sherif von Mekka,
Hussein, und der englische Diplomat Henry McMahon in einem Briefwechsel,
in dem als Gegenleistung für die Unterstützung gegen die Osmanen
dem Sherifen ein großarabisches Reich zugesagt wird. Ein Jahr später
aber teilen der englische Diplomat Mark Sykes und der französische
Diplomat François Georges-Picot in einem Geheimpapier den Nahen
Osten nach den imperialen Interessen ihrer Länder auf, die ein unabhängiges
Gesamtarabien nicht vorsehen.
Wie geraten die Zionisten in dieses Machtspiel? Theodor
Herzl sah von Anfang an in England eine wichtige diplomatische Station
für die Verwirklichung seines "Judenstaates". Sein Nachfolger
und Erbe, Chaim Weizmann, siedelte gar nach Manchester über, wo er
dem Zionismus in der englischen Politik eine vielbeachtete Stimme verlieh.
Viele britische Politiker kamen so mit dem Zionismus in Kontakt, einige
lehnen ihn ab, andere sahen ihn sehr positiv, darunter die späteren
Minister und Premierminister David Lloyd George,Winston Churchill und
eben Arthur James Balfour. Historisch wirksam wurde dies 1917, einem kriegsentscheidenden
Jahr. Es endete mit der bolschewistischen Revolution sowie dem Eintreffen
erster amerikanischer Truppen auf dem europäischen Kriegsschauplatz
- der Anfang der deutschen Niederlage. Doch dies war im Laufe des Jahres
1917 nicht ersichtlich. Für die Alliierten galt es, sich Unterstützung
zu holen, wo sie konnten - eben auch bei den Zionisten.
Zur Vorgeschichte der Balfour-Deklaration existiert eine
bis heute nicht verifizierte These: dass nämlich die Arbeit des Chemikers
und Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation, Chaim Weizmann,
in Manchester derart kriegswichtig gewesen sei, dass man ihm dafür
eine Form der Anerkennung zukommen lassen wollte. Daneben gab es allerdings
handfestere Gründe. Nicht alle britischen Politiker sind so prozionistisch
wie Premier Lloyd George, Rüstungsminister Churchill oder Außenminister
Balfour. Was sie allerdings eint, sind zwei höchst ambivalente Dinge:
Zum einen betrachten einige die jüdische Gemeinschaft, etwa die in
den USA, als sehr mächtig, so dass man sie besser für sich gewinnen
sollte. Zum anderen will man verhindern, dass sich andere Staaten, wie
das Deutsche Reich, die Unterstützung der als einflussreich gesehenen
Zionisten sichern, und schließlich hofft man, in der Nachkriegszeit
durch die Errichtung eines jüdischen Gemeinwesens in Palästina
unter britischer Ägide die strategisch wichtige Landbrücke zwischen
Suezkanal und Libanon für das britische Empire zu sichern.
Die Briten sind nicht die Einzigen, die so denken: Im
Juni 1917 schreibt Jules Cambon, Leiter der politischen Abteilung des
französischen Außenministeriums, in einem Brief an den russischen
Zionisten Nachum Sokolov, dass die französische Regierung in ihrem
Kampf "des Rechts gegen die Macht" nichts anderes fühlen
könne als Sympathie für die zionistische Sache. Nun geraten
die Briten unter Zugzwang. Nach langem Ringen um den Inhalt (der Brief
geht zwischen englischen Amtsstellen und zionistischen Offiziellen hin
und her und wird sogar US-Präsident Wilson vorgelegt) schickt Außenminister
Balfour einen auf den 2. November datierten Brief an den prominenten Zionisten
Lord Lionel Walter Rothschild. Darin sagt Balfour, dass seine Regierung
die Errichtung einer nationalen Heimstätte in Palästina für
das jüdische Volk mit Wohlwollen betrachte ("view with favour").
Mehr sagt die Erklärung nicht. Sie wäre vielleicht wie auch
der Brief Cambons wieder in Vergessenheit geraten, wenn die Zionisten
sie nicht als erste offizielle Anerkennung ihrer Wünsche gesehen
und dementsprechend auf der Erklärung aufgebaut hätten. Der
Inhalt der Erklärung ist dabei gar nicht so wichtig, denn der Ausdruck
"view with favour" ist keine rechtlich bindende Zusage. Diese
erfolgt aber fünf Jahre später, denn im Völkerbunds-Vertrag,
der Großbritannien das Mandat über Palästina gibt, wird
explizit auf die Balfour-Deklaration Bezug genommen und ihr Ziel, die
Errichtung einer jüdischen nationalen Heimstätte, als Teil der
Präambel aufgenommen. Damit gibt es ein völkerrechtlich bindendes
Dokument, auf das sich die Zionisten berufen können. Die Mandatsmacht
erfüllt aber die Völkerbundspräambel nur bedingt. Die Geschichte
der Mandatszeit von 1922 bis 1948 zeigt, wie Großbritannien versucht,
die Entwicklung in einem Land einzig ihren eigenen Interessen unterzuordnen.
Dabei werden die zwei konkurrierenden internen Gruppen wechselnd als Verbündete
betrachtet und oft gegeneinander ausgespielt.
Für Großbritannien war die Balfour-Deklaration
sicher ein Stein im Mosaik des Machtaufbaus in der arabischen Welt. Aus
der Konkursmasse des Osmanischen Reiches wurden neben dem Mandatsgebiet
"Palestine - Eretz Israel" mit Syrien, Libanon, der Türkei
und dem Irak die heutige Landkarte des Nahen Ostens geschaffen. Die Balfour-Deklaration
ist somit ein Dokument zeittypischen imperialistischen Denkens. Dass die
Deklaration aber Teil des Mandatsvertrages wurde, war ein wichtiger Schritt
für die Zionisten, wenn das Verhalten Großbritanniens in der
arabischen Welt auch weder von pro-zionistischen oder pro-arabischen,
sondern nur von probritischen Interessen geleitet war. Dass das Mandat
letztlich in der Gründung des Staates Israel mündete, war weniger
auf die Rechtsgültigkeit der Balfour-Erklärung zurückzuführen,
sondern auf viele andere Faktoren. Dennoch hatte die Erklärung einen
nicht zu unterschätzenden ideellen Wert, denn die Vorstellung der
Zionisten, hiermit eine prinzipielle Anerkennung in den Händen zu
halten, war richtig, hat der Bewegung wichtige Impulse verliehen und erhielt
mit dem Völkerbundsmandat auch eine völkerrechtliche Grundlage.
Und das war es, was Herzl von Anfang an wollte.
Jüdische Allgemeine, 1.11.2007
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