Sprach-Ping-Pong im Klassenzimmer
In der Jerusalemer Hand-in-Hand-Schule lernen die Kinder auf Hebräisch und Arabisch.
von Inge Günther

Zwei Lehrer, zwei Sprachen, 26 Kinder. Das alles in einem Klassenzimmer. Die 2b macht vor, wie so etwas funktioniert. Und das unter erschwerten Bedingungen. Dauernd lugen Eltern durch die Fenster, um zu sehen, wie sich die Kleinen machen. Schließlich findet der Unterricht in Jerusalems einziger jüdisch-arabischer Schule heute erstmals im neuen Gebäude statt, das mit Hilfe großzügiger Spender für elf Millionen US-Dollar errichtet wurde.

"Wie im Zoo", feixt ein Bengel, als wieder neugierige Erwachsene draußen stehen bleiben - was die Faxenmacher der 2b animiert, sich ein bisschen zu produzieren. Die Lehrerinnen, Jaffa Shira Grossberg und Manal Darawshe, müssen sich anstrengen, um das Interesse wieder auf die Tafel zu lenken. Dort hängen Bilder von Kindern: fröhlichen, traurigen, nachdenklichen, übermütigen. Das jeweilige Attribut steht daneben - zweisprachig, versteht sich.

"Wie fühlt sich dieses Kind?", fragt Grossberg auf Hebräisch und tippt auf das Wort an der Tafel. Auf Arabisch muntert Darawshe die Kinder auf, sich zu melden: "Los, wer weiß es?" Natürlich wissen sie es, die meisten sogar in beiden Sprachen. Aber in welcher sie antworten wollen, ist ihnen überlassen. Eine Art bilinguales Ping-Pong, bei dem die Wörter durch die Klasse hüpfen. Spaß scheint die Sache zu machen. Seit bald zehn Jahren gibt es die Yad-be-Yad Schule (Hand-in-Hand) in Jerusalem, die jetzt eigentlich Max-Rayne-Schule heißt, benannt nach dem britisch-jüdischen Philanthropen, ohne den der Neubau nicht möglich gewesen wäre.

Sie gehört zu den Vorzeigeprojekten der Jerusalem Foundation, erfreut sich spendabler Unterstützer in Deutschland, Italien und der Schweiz, und erhielt noch zu Lebzeiten von Teddy Kollek, dem legendären Jerusalemer Bürgermeister, und Bundespräsident Johannes Rau den Friedenspreis der Israelisch-Deutschen Freundschaftsgesellschaft. Viele Kids kennen sich aus dem zweisprachigen Kindergarten, der jetzt in die neue Schule integriert wurde.

Majid, Motas, Mustafa und Jamie sind Oldtimer. Sie sind 13 Jahre alt und gehen in die achte Klasse. Ein arabischer Christ, zwei Moslems, ein Jude. Aber so wie sie da auf der Treppe im Hof hocken, Schulter an Schulter, in T-Shirts und Jeans, Gel in den Haaren, lässt sich das nicht unterscheiden.

"Für uns spielt keine Rolle", sagt Jamie, "wer Jude ist und wer Araber. Wir sind Kumpel." Motas findet daran "nichts Besonderes". Er ist überzeugt, dass sich ihre Freundschaft halten wird. Dass der Nahost-Konflikt die Sache komplizieren könnte, weiß er. Wie Mustafa findet er, dass man "einen Juden immer als Mensch sehen" solle. Die Vier besuchen sich untereinander, bleiben auch mal über Nacht. Und wenn Jamie von jüdischen Kids gefragt wird, warum er mit Arabern in die Schule gehe, erwidert er: "Weil ich das will."

Natürlich haben irgendwann die Eltern entschieden, ihre Kinder in die Yad-be-Yad-Schule zu schicken. Fast ausnahmslos gehören sie der Mittelschicht an. Unter ihnen sind Ärzte, Architekten oder Journalisten. "Uns gefällt das ganze Konzept", sagt Mark Yohai, ein Wirtschaftsmann. "Nicht wegen politischen Überzeugungen, sondern weil es einem pluralistischen Menschenbild entspricht." Deswegen nehmen die Yohais auch in Kauf, die zehnjährige Tochter täglich von ihrem West-Jerusalemer Vorort durch den Morgenstau in die Schule chauffieren zu müssen. Bei den arabischen Eltern kommt ein weiteres Motiv hinzu. Im vernachlässigten Ostteil liegt die durchschnittliche Klassenstärke bei 40 Kindern. In der Yad-be-Yad-Schule sind es höchstens 30 pro Klasse. Und die werden auch noch von zwei Lehrern gefördert. Zumindest in der Grundschule. Erst in der Mittelstufe wechseln sich Fachlehrer ab. Mathe gibt's dann auf Arabisch und Geografie auf Hebräisch. Eigentlich passt auch die geografische Lage der Max-Rayne-Schule zum Programm. Liegt sie doch ziemlich genau zwischen dem Patt-Viertel, einem jüdisch proletarischen Billigquartier, und dem arabisch-moslemischen Beit Safafa.

Bei der Eröffnung des Schulneubaus zeigte man sich stolz, in solch' gemischter Nachbarschaft angesiedelt zu sein. "Wir bauen hier eine Oase für Friedensvisionen", hat Festredner Dan Meridor gesagt. Der war einmal eine Größe im rechten Likud, auch wenn er schon damals als "Taube" galt.

In der Patt-Nachbarschaft allerdings legt man auf Sonntagsreden wenig Wert. Von jüdisch-arabischer Koexistenz will man dort erst recht nichts hören. Einige Anwohner, angeheizt von einem rechten Rabbiner, erbosen sich über die Schule, diesen Fremdkörper in ihrer Mitte. Ihnen ist ein Dorn im Auge, dass dort jüdische, christliche und moslemische Feiertage gleichberechtigt gewürdigt werden. So kann es am jüdischen Lichterfest Chanukka vorkommen, dass neben der Menora auch ein Christbaum steht und dazu Gebäck wie im moslemischen Fastenmonat Ramadan gereicht wird.

Die oft gestellte Frage allerdings, ob man sich nicht eine Inselidylle geschaffen habe, entlockt Lehrerin Tamar Baranow ein müdes Lächeln. "Schön wär's", gibt sie zurück. Baranow unterrichtet die Fünftklässler. Damals, als PLO-Chef Yassir Arafat starb, war jeweils eine Hälfte bestürzt, während die andere mehr oder weniger vernehmbar äußerte, der sei bloß ein Terrorist gewesen. Unvergessen ist auch jener Tag im Juni vor wenigen Jahren, als in der Nähe ein Selbstmordattentat auf einen Linienbus geschah. Eine schlimme Erfahrung, die die Erkenntnis zurückließ: Es hätte jeden aus der Schule treffen können. Mit der weiter zurück liegenden Vergangenheit fertig zu werden, ist kaum leichter. In der fünften Klasse beginnt dieses Jahr der Geschichtsunterricht. Da wartet auf Baranow und ihre arabische Co-Lehrerin, Naama Abu Dalu, die Aufgabe, den Kids gleichermaßen den israelischen Unabhängigkeitstag historisch näher zu bringen als auch al-Nakba, die Katastrophe palästinensischer Vertreibung.

"Wir versuchen, beide Seiten der Geschichte zu vermitteln", sagt Abu Dalu. Wie sie das anfangen wollen, haben sie schon besprochen. Jedes Kind soll zunächst Familienforschung betreiben. Kein schlechter Ausgangspunkt in einer arabisch-jüdischen Klasse, um in die Untiefen des Nahost-Konflikts einzutauchen. Die gängigen Schulbücher, ob in Hebräisch oder in Arabisch, reichen dafür nicht aus. Das Yad-be-Yad Kollegium hat bereits drei alternative Lehrbücher entwickelt. Zwei Yad-be-Yad-Ableger in Galiläa profitieren davon und revanchieren sich mit ihren Materialsammlungen.

Aber "Co-Teaching" ist keine halbe Sache. Allein fürs Koordinieren geht jede Menge Extrazeit drauf. "Manchmal hängen wir noch spätabends am Hörer, um den nächsten Tag zu planen." Doch beide haben offensichtlich Spaß daran: Abu Dalu drückt es so aus: "Mir hat die Schule schon gefallen, als ich das erste Mal hörte, dass es so etwas überhaupt gibt."

Hand in Hand
Gegründet wurde die Jerusalemer Yad-be-Yad- Schule für bilinguale, interreligiöse Erziehung 1998. Seitdem ist sie jährlich um eine Jahrgangsstufe gewachsen. Inzwischen reicht sie von der Vorstufe bis zur neunten Klasse und zählt 450 Schüler. Zwei kleinere Schulableger der Yad-be-Yad Organisation (Hand in Hand) gibt es im israelischen Norden.

Eine Doppelspitze führt die Jerusalemer Schule: Ala Khatib, arabischer Direktor, und Dalia Peretz, jüdische Direktorin (Schwester des früheren israelischen Verteidigungsministers Amir Peretz).

Eine bilinguale Highschool (bis Klasse zwölf) soll das Angebot in den kommenden Jahren ergänzen. Allerdings ist die Nachfrage danach unter arabischen Eltern größer als unter den jüdischen, die mehr Alternativen an guten weiterführenden Schulen haben.

Frankfurter Rundschau, 9.11.2007

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