Überleben - um jeden Preis
Interview mit Michal Zamir über sexuelle Übergriffe in Israels Armee

Frau Zamir, wie viele Hass-Mails haben Sie bekommen, nachdem Ihr Buch über das Militär in Israel erschienen ist?

Die Reaktionen waren gar nicht so aggressiv, wie Sie vielleicht vermuten. In gewisser Weise ist das Thema sexuelle Ausbeutung junger Rekrutinnen allgemein bekannt. Nach 1967 wurden ranghohe Soldaten in Israel ja vergöttert. Manche Frauen haben es damals sogar als eine Art Ehre empfunden, sich mit einem Offizier einzulassen - diese Sichtweise funktioniert natürlich nur, wenn man keine allzu hohen moralischen Maßstäbe anlegt. Diese Zweideutigkeit wollte ich im Buch deutlich machen, und das gab es so vorher noch nicht.

Vor allem nicht in so expliziter Schilderung. Die Hauptfigur Ihres Romans wird permanent sexuell gedemütigt - und gefällt sich teils sogar in dieser Rolle.

Das Buch war ein Versuch, für mich herauszufinden, was mich selbst damals so unterwürfig gemacht hat - auch wenn es nicht autobiografisch ist. Ich habe es ja erst im Abstand von 17 Jahren nach meinem eigenen Militärdienst geschrieben. Ich glaube inzwischen, es hat viel mit der israelischen Kultur zu tun, damit, wie sich die Geschlechterrollen über das Militär definierten. Früher kursierte bei uns der Spruch: "Die besten Männer für die Luftwaffe, und die besten Frauen für die Piloten."

Wie reagierte das Militär auf Ihr Buch? Immerhin sind Sie die Tochter eines ehemaligen Geheimdienst-Chefs.

Es ist ja nicht nur ein Militär-kritisches Buch. Eher ein Adoleszenzroman, in dem der Weg einer jungen Frau in der Armee beschrieben wird, die bereit ist, einen hohen Preis zu zahlen: Sie opfert ihren Körper, unterwirft sich sexuell, um geistig gesund und sie selbst zu bleiben. Zumindest, um später die Wahrheit erzählen zu können - ihre eigene Wahrheit.

Und was ist die Wahrheit?

Dass es oft einfach ums Überleben geht. Ich bin ja nicht die Erste, die solche Erfahrungen und Mechanismen beschreibt. Vor zwei Jahren wurde die Erzählung einer anonymen Autorin ins Hebräische übersetzt, "Eine Frau in Berlin". Sie beschreibt, wie sie während der Zeit der sowjetischen Besatzung sehr sorgfältig die Offiziere für ihre sexuellen Beziehungen auswählte, weil diese ihr Brot und Butter beschaffen konnten. Das bewundere ich. Vielleicht ist das eine sehr jüdische Sichtweise auf das Leben - keine israelische, sondern eine jüdische: auf den Stolz zu verzichten, um zu überleben.

Sehen Sie Fortschritte in der Armee seit Ihrer Wehrzeit?

Ich muss leider sagen, dass ich nicht sehr optimistisch in dieser Sache bin. Ich tue mein Bestes, um für die Gleichheit zu streiten. Aber ich glaube heute, es ist eine verlorene Schlacht. Ich glaube, die biologischen Differenzen lassen es einfach nicht zu.

Dennoch sind Sie auf die Straße gegangen, um gegen den Ex-Präsidenten Moshe Katsav zu protestieren. Der soll für seine sexuellen Übergriffe nicht ins Gefängnis gehen; eine außergerichtliche Regelung soll reichen.

Unser Protest hat ja auch etwas bewirkt. Vom Obersten Gerichtshof gab es Kritik an der angestrebten Regelung, und das eigentliche Urteil steht noch aus. Vor allem ist eine spannende Diskussion in Gang gekommen. Denn es ging nicht so sehr darum, dass er als Perverser beschrieben wurde. Sondern um das Recht auf Arbeit. Die Frauen sind in dem Moment vor Gericht gegangen, als Katsav sie nach Beendigung der Affäre auf die Straße setzen ließ. Sie beschrieben vor allem ihre Angst, gefeuert zu werden. So ist es auf gewisse Weise ein anderer Kampf geworden, ein Streit um die Gleichberechtigung im Job. Das ist ein neuer Punkt auf der feministischen Agenda, und darauf bin ich stolz.

Hat der Fall Katsav mehr Frauen in Israel ermutigt, solche Vorfälle öffentlich zu machen?

Ja, aber manche erzählen auch Unsinn. Eine Frau zog vor Gericht wegen eines Kusses, den ihr Justizminister Haim Ramon gab. Sie umarmten und küssten sich, und auf einmal soll seine Zunge in ihren Mund gewandert sein. Ich meine: Da haut man dem Kerl meinetwegen eine runter - er war ja nicht ihr Boss. Aber deswegen vor Gericht zu ziehen? Das ist idiotisch. Da haben die Frauen in Israel wirklich andere Probleme.

Wo fängt sexuelle Belästigung denn für Sie an?

Sexuelle Belästigung beginnt in der Natur, auf gewisse Weise. Wir versuchen per Gesetz gegen unsere primitive Natur vorzugehen. Und dieser Kampf ist der spannendste menschliche Konflikt, den es überhaupt gibt. Aber es ist ein verlorener Kampf.

Aber wo beginnt diese Belästigung im Alltag?

Dort, wo zum Beispiel mein Vater mir verbieten wollte, Philosophie zu studieren. Er sagte: Du redest sowieso schon zu viel.

Was haben Sie geantwortet?

Ich habe Philosophie studiert.

Interview: Thomas Wolff
Michal Zamir, 43, lebt als Schriftstellerin in Tel Aviv. Ihr Vater Zvi Zamir führte zur Zeit des Münchner Olympia-Attentats den Geheimdienst Mossad an. Ihr Buch "Das Mädchenschiff" (marebuchverlag, 22 Euro) beschreibt die Erfahrungen einer jungen Rekrutin bei der israelischen Armee, geprägt von permanenter sexueller Ausbeutung. Zamir selbst war vor 17 Jahren in dem beschriebenen Camp.
Frankfurter Rundschau, 10.11.2007

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