Rückkehr der Buchstaben
Kölner Gemeinde empfängt Tora
von Constantin Graf von Hoensbroech
"Die Tora ist wieder koscher!" Mit diesen Worten
der Erleichterung legt Yischak Steiner die Truthahnfeder beiseite, die
er kurz zuvor in schwarze Tinte getaucht hatte, um die letzten Buchstaben
auf die Pergamentrolle zu schreiben. "Nach 70 Jahren ist die Tora
wieder koscher", wiederholt der israelische Restaurator nochmals.
Die Gemeindemitglieder applaudieren und stimmen ein Freudenlied an. Es
ist ein feierlicher, ja historischer Moment in der Synagoge des Jüdischen
Wohlfahrtszentrums im Kölner Stadtteil Ehrenfeld, mit dem Mitglieder
und Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln das Buch begrüßten,
das die vergangenen Monate in Israel restauriert worden war. "Die
Tora ist Grundlage und Herzstück unserer Religion. Dementsprechend
ist es eine ganz besondere Ehre, einen der letzten Buchstaben der Tora
schreiben zu dürfen", erklärt Vorstandsmitglied Abraham
Lehrer. Gemeinderabbiner Netanel Teitelbaum steht die Freude noch Tage
nach der Zeremonie ins Gesicht geschrieben.
Nach alter Tradition ist das Schreiben der letzten Buchstaben
einer Tora bis zu den Schlussworten "vor den Augen des Volkes Israel"
mit einer eigenen Zeremonie verbunden. Das Volk Israel waren an diesem
Abend die Mitglieder der Synagogen- Gemeinde, von denen sich 25 besonders
auserwählt fühlen durften. Als Dank für ihre Verdienste
in Europas ältester jüdischer Gemeinde nördlich der Alpen
kam ihnen das Privileg zu, mit einem Federkiel je einen Buchstaben - symbolisch
- einzutragen. Symbolisch, weil das eigentliche Schreiben dann doch der
Restaurator Yischak Steiner übernahm. Der kleinste Fehler oder die
geringste Beschädigung und die Rolle wäre für die Verwendung
im Gottesdienst nicht zu gebrauchen.
Seit der Nacht vom 9. November 1938 konnte die alte Kölner
Tora nicht mehr verwendet werden. In der sogenannten Reichspogromnacht
führten die Nationalsozialisten den ersten großen Schlag gegen
die jüdische Bevölkerung. Auch in Köln brannte die Synagoge,
damals noch an der Glockengasse beheimatet. Aus der neugierigen, teilweise
johlenden Menge der Schaulustigen soll sich laut verschiedener Quellen
plötzlich ein Mann in das brennende Gotteshaus gestürzt und
kurz darauf mit der bereits erheblich beschädigten Torarolle herausgekommen
sein. Es war Prälat Gustav Meinertz (1873 bis 1959), ein katholischer
Geistlicher, der persönlich großes Interesse am Judentum hatte
und seit 1935 als Generalsekretär des Deutschen Vereins vom Heiligen
Lande vielfältige Beziehungen nach Israel aufbaute. "Hier wird
nicht nur die Bibel der Juden zerstört, sondern auch die Bibel der
Christen. Es ist die gleiche, nämlich das Alte Testament", soll
Meinertz über den Beweggrund für seine Rettungstat später
einmal bekannt haben.
Bereits kurz nach dem Krieg gab der mutige Geistliche
den wenigen Überlebenden der jüdischen Gemeinde in der Domstadt
die Tora zurück. Bis dahin hatte er sie in seiner Wohnung versteckt.
Seitdem wurde die durch Rauch und von Brandflecken beschädigte Rolle
als Museumsstück im Eingangsbereich der heutigen Synagoge an der
Roonstraße aufbewahrt. Irreparabel schien das als Offenbarungswort
gepriesene Buch mit den etwa 300.000 Worten der fünf Bücher
Mose zu sein, bis sich herausstellte, dass mit Hilfe neuester Verfahren
im Jerusalemer Institut von Yischak Steiner eine Restaurierung möglich
schien.
Die entscheidende finanzielle Hilfe kam erneut von katholischer
Seite. Denn eine im Rahmen des historischen Besuchs des katholischen Kirchenoberhaupts
Papst Benedikt XVI. in der Kölner Synagoge an der Roonstraße
vor zwei Jahren an den Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner
ergangene Bitte, sich an den Kosten für die Restaurierung zu beteiligen,
entsprach der Oberhirte mit einem Betrag in Höhe von 12.000 Euro.
Für das Erzbistum ist das ein Ausdruck der seit Jahren gewachsenen
guten Beziehung zur jüdischen Gemeinde, dem der Besuch des Papstes
einen weiteren Impuls gab. In diesem Sinne wird sicherlich auch der kommende
9. November begangen werden. Kardinal Meisner und weitere Vertreter des
Erzbistums wollen an der feierlichen Einbringung der Torarolle im Rahmen
der traditionellen Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Reichspogromnacht
teilnehmen. Neben der Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland,
Charlotte Knobloch, und dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten
Jürgen Rüttgers haben auch die beiden Oberrabbiner von Israel,
Rabbiner Schlomo Moshe Amar und Rabbiner Yona Metzger, ihre Teilnahme
zugesagt.
Dabei ist es aber nicht nur die Geschichte um die Tora,
die dem Schriftwort seine so singuläre Identität und Bedeutung
verleiht. "Es ist auch ihre Entstehung", erklärt Yischak
Steiner und ergänzt: "20 allgemeingültige Regeln gibt es,
um die einzelnen Buchstaben zu schreiben. Gleichwohl lässt sich identifizieren,
woher eine Tora kommt." Für den erfahrenen Restaurator steht
fest: "Die Kölner Tora wurde 1902 in Deutschland geschrieben,
und das ist eine Besonderheit, weil es von ihnen nur sehr wenige gibt."
Vor diesem Kontext sowie dem zeitgeschichtlichen Hintergrund
wird deutlich, welch enormer Symbolwert der Rückkehr der wiederhergestellten
Tora zukommt. Gemeindevorstand Ronald Graetz hob nach der Feier im Wohlfahrtszentrum
hervor: "Es ist ein ganz besonderer Augenblick, den wir erleben durften,
weil er eben auch zeigt, dass die Nazis das jüdische Volk nicht ausgelöscht
haben."
Jüdische Allgemeine, 1.11.2007
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