Urteil statt Vorurteil. Heute:
Heiliger Krieg
von Klaus-Peter Lehmann
Im interreligiösen Gespräch um das Verhältnis
von Judentum, Christentum und Islam steht die Rede vom Heiligen Krieg
oft im Brennpunkt. Wo hat die Idee eines Krieges, der von Gott gewollt
ist und kriegerische Grausamkeit verherrlicht oder legitimiert, ihren
Ursprung? Manche sehen ihn im Alten Testament, (1) andere in den christlichen
Kreuzzügen oder im islamischen Djihad.
Das Vorkommen einer solchen Idee in der hebräischen
Bibel würde dem antijudaistischen Lieblingsgedanken, dass die Verbindung
von Gott und grausamer Gewalt ihre Quelle im Alten Testament und im Judentum
hat und dass von dorther der Gedanke der Gewalt prägend für
die abendländische Kultur geworden ist, einen Anschein von Recht
geben.
Im Gegensatz zu dieser verbreiteten Meinung präsentieren
sich die Schriften der hebräischen Bibel als das erste und einzige
Dokument der Antike, das durchgängig von der Hoffnung auf einen die
Menschheit umfassenden Frieden geprägt ist. Die prophetische Vision
eines universalen Schalom geht vom priesterlichen Volk Israel aus (2 Mose
19,5f; Ps 46,10; Jes 2,2-5; Dan 13,13f; Sach 9,10). Nach dem Zeugnis des
Alten Testamentes wird Israels Geschichte von Priestern und Propheten
getragen, Menschen, die durch ihr Amt für den Frieden Sorge tragen,
für die individuelle Friedensfähigkeit durch Tilgung der Sünden,
für den politischen Frieden durch das prophetische Wort von der Gerechtigkeit
im Volk und der universalen Völkerversöhnung. Auch die Tora,
die Weisung Gottes vom Sinai, richtet Israels Füße auf den
Weg des Friedens (Ps 85,8-11), denn sie atmet wie kein anderes Gesetz
den Geist der Gerechtigkeit (5 Mose 4,8).
Unter dieser Vorgabe kann ein Krieg für Israel nur
eine absolut unwillkommene und verabscheuungswürdige Situation sein.
(3) Dem entspricht, dass im Alten Testament alle Kriege Israels kämpferische
Defensivmaßnahmen sind, in denen es meistens ums Überleben
oder den Bestand des Gottesvolkes geht. Dementsprechend schreibt die Tora
ein Sühneritual vor, das nach der Aushebung der Kämpfer vor
jedem Krieg zu begehen ist (2 Mose 30,11-16): Wenn du die Summe der Söhne
Israels nach ihren Gemusterten aufnimmst, so soll jeder eine Sühne
seiner Seele für den Herrn geben, indem man sie mustert, auf dass
kein Anstoß an ihnen sei, indem man sie mustert (2 Mose 30,12).
Der Kämpfer soll durch dieses Ritual vor den Kampfhandlungen
mit dem Bewusstsein erfüllt werden, dass der Krieg Sünde und
der Krieger strenggenommen ein Mörder ist. So gestaltet dieses Ritual
den Abscheu vor dem Vergießen von Menschenblut, den die Tora einschärft
(1 Mose 9,6). Mordlust, Beutegier, allen egoistischen Beweggründen
soll durch die vorgängige Sühneleistung abgeschworen werden.
(4) Die interkulturelle Bedeutung dieses Rituals wird dem klar, der auf
die Kriegsgewohnheiten anderer Völker schaut. Anfeuerungsriten, Hassgesänge
und Triumphlieder vor und nach dem Krieg sind hier die Regel. Das alles
ist immer mitzudenken, wenn das Alte Testament von Israels Kriegen als
den Kriegen des Herrn (5) spricht. David führte zunächst solche
Kriege (1 Sam 18,17; 25,28). Es handelt sich um Kriege gegen die existentielle
Bedrohung und Anfeindung von Gottes Friedensvolk durch heidnische Völker,
deren Weisheit meist auf den Satz Heraklits hinausläuft: Der Krieg
ist der Vater aller Dinge. Israel betet dagegen die Psalmen Davids: Zerstreue
die Völker, die Lust haben an Kriegen (Ps 68,31). Wie um im Blick
darauf keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, wies Gott selber
Davids Vorhaben, einen Tempel zu bauen, mit der Begründung ab: Du
sollst meinem Namen kein Haus bauen; denn du bist ein Kriegsmann und hast
Blut vergossen (1Chr 28,2f).
Ein Angriff auf Israels Existenz jedoch droht Gottes Friedenszeugen
in der kriegerischen Menschheitsgeschichte zu zerstören. Dazu ist
Israel als Träger der Tora und ihrer Verheißungen berufen.
Darum ist ein Verteidigungskrieg um Israels Existenz das Paradox eines
Krieges für Gott. (6) Damit die Gewalt des Kampfes seine Ziele nicht
durchkreuzt, muss sich der Teilnehmer eines Krieges für Gott in besonderer
Weise heiligen, rüsten, absondern, vorbereiten, damit er im Kriege
nicht zur Furie und zum Kampfhund wird.
Dafür dienen neben obigem Ritus besondere Weisungen,
die das Ausufern kriegerischer Gewalt verhindern sollen, wie die vorgängige
Friedensaufforderung an eine bekriegte Stadt (5 Mose 20,10f) oder das
Verbot, Fruchtbäume zu Belagerungszwecken zu fällen (5 Mose
20,19f). Immer ertönt der Protest der Propheten gegen grausame Kriegsführung,
sei es von seiten Israels oder von seiten anderer Völker (2 Chr 28,8-15;
Hos 1,4; Am 1.2).
Aber war nicht die Landnahme Kanaans ein Eroberungskrieg
und mit der Vertreibung von Völkern verbunden? Deutet nicht der Gottesname
"Herr der Heerscharen / Herr Zebaoth" auf einen kriegerischen
Gott?
Nach den im Alten Testament greifbaren historischen Vorgängen
wanderte das ehemalige Sklavenvolk nach dem Zug durch die Wüste,
in der es gefährlichen Angriffen anderer Völker ausgesetzt war
(2 Mose 17,8ff; 4 Mose 21f; 5 Mose 25,17ff), in ein Land mit befestigten
Städten ein. Dessen Einwohner waren militärisch hoch gerüstet
und unterwarfen die eingewanderten Nomaden der Fron. In wiederholten Kämpfen
mussten die Immigranten sich behaupten (Ri 1.2), endgültig gelang
es unter David. Die Erzählung von einer Überführung des
Bundesschreines in einem priesterlichen Zug durch den Jordan (Jos 3f)
und von der Zerstörung der Mauern Jerichos durch das priesterliche
Blasen von Posaunen sind augenscheinlich nicht rein historisch zu nehmen,
sondern betonen, dass das priesterliche Friedensvolk nach seiner Flucht
aus der Sklaverei und dem unsäglichen Zug durch die Wüste sich
wunderbarerweise ins Land retten konnte, wo ihm Ruhe vor seinen Feinden
verheißen ist (Jos 1,13). Als sie, am jenseitigen Ufer angekommen,
die Tora öffentlich verlasen, ihre gerechten Weisungen proklamierten,
vereinten sich die Völker Kanaans sofort gegen die Immigranten, um
Israels Lebensprogramm, die Verwirklichung der Tora, kriegerisch zu verhindern
(Jos 8,30-9,3).
So ist der "Herr Zebaoth" bzw. der "Herr
der Heerscharen" auch nicht ein aggressiver Schlachtengott. Seine
Scharen sind nicht kriegerische Armeen, sondern das erwählte Sklavenvolk
Israel, durch das Gott seine Gerichtswort an der Völkerwelt spricht:
Der Pharao wird nicht auf euch hören; dann will ich Hand an Ägypten
legen und meine Heerscharen, mein Volk Israel, durch gewaltige Gerichte
aus dem Lande Ägypten führen (2 Mose 7,4). Nach Verlauf von
430 Jahren zogen alle Heerscharen des Herrn aus dem Lande Ägypten
hinweg (2 Mose 12,41). Bis wohin führt der Herr Zebaoth sein Volk?
Groß wird die Herrschaft sein und des Friedens kein Ende auf dem
Throne Davids und über seinem Königreiche, da er es festigt
und stützt durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.
Das wird der Eifer des Herrn der Heerscharen tun (Jes 9,7).
Der Koran fordert zu gezügeltem und gemäßigtem
Kampf auf, vor dem Krieg soll der Muslim Abscheu empfinden (Sure 2,212),
doch ein Sündenbewusstsein im Blick auf das kriegerische Tun ist
ihm fremd. Djihad bedeutet nicht "Heiliger Krieg", sondern "Anstrengung".
Gemeint ist ein ständiger Einsatz für den Islam, der erst aufhört,
wenn alle Menschen den Glauben an Allah angenommen haben (Sure 2,193;
8,40). Das Endziel ist erreicht, wenn alle Gebiete der Nichtmuslime zu
Gebieten des Islams geworden sind (Sure 9,33; 48,28; 61,9). Nach muslimischer
Vorstellung werden die im Krieg für den Islam Gefallenen im Jenseits
belohnt. Die Krieger genießen das ungebrochene Wohlwollen Allahs.
So bleibt kriegerische Gewalt ein legitimes Mittel zur Ausbreitung des
Islam. Das Alte Testament ist vom Bewusstsein der Sündhaftigkeit
kriegerischer Männlichkeit durchdrungen (Ps 147,10f).
Der Gedanke eines Heiligen Krieges / bellum sacrum taucht
erstmalig im Christentum zu Beginn des 1. Kreuzzuges auf. Die 1096 nach
Jerusalem aufbrechenden Horden und Heere verstanden sich als neues Israel
/ novus Israel, die sich dem alttestamentlichen Volk gleich auf dem Weg
ins gelobte Land wähnten. Sie wollten die Erbschaft Christi zurückgewinnen.
Angesichts der Eroberungen im Gefolge des 1. Kreuzzuges besannen sich
die Türken auf den Geist des Djihad, um die Eindringlinge zu vertreiben.
Anmerkungen:
(1) Die bekannte Studie des evangelischen Alttestamentlers G. v. Rad "Der
Heilige Krieg im Alten Testament" hat den Nachteil, dass es diese
Wortverbindung in der hebräischen Bibel nicht gibt.
(2) Allein der biblische Satz, dass Gott der Herr der Welt ist, schließt
die Vision des Völkerfriedens ein. Denn in der Bibel geht es nicht
allgemein um einen Gott, sondern um den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs,
der der Menschheit seinen universalen Friedenswillen mit der Berufung
Abrahams (1 Mose 12,3) und mit der Erwählung Israels zum priesterlichen
Volk (2 Mose 19,5f) kundgemacht auf den NS-Völkermord an den Juden
von der Verdrängung Gottes: "Wenn wir zurückblicken und
nach dem tiefsten Sinn dessen fragen, was wir erlebten, so ist es doch
das: Menschen wollten Gott hat. Allein 2 Mose 19,5 spricht davon: Wenn
ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, so sollt ihr vor
allen Völkern mein Eigentum sein; denn mein ist die ganze Erde. Wenn
dem Friedensgott Israels die ganze Erde gehört, kann das nur den
verheißungsvollen Anspruch bedeuten, dass dereinst seine Gerechtigkeit
und sein Friede die ganze Welt erfüllen wird.
(3) Allerdings wird der Krieg in der Bibel nicht als Greuel bezeichnet,
wie Götzendienst, Menschenopfer oder unsittliches Verhalten. Nur
was der Heiligkeit der Lebensführung nach der Tora widerspricht,
gilt als Greuel. Wo die Verführung zu Greueln durch ein anderes Volk
vorgetragen wurde, musste Israel sich u.U. mit Gewalt zur Wehr setzen,
jedenfalls solange, wie dadurch der physische oder spirituelle Bestand
des kleinen Gottesvolkes auf dem Spiel stand. Für die Zeit des Alten
Testamentes ist das allemal vorauszusetzen.
(4) Das meinen alle die Bibelstellen, die davon sprechen, dass die Israeliten
sich für den Krieg heiligen bzw. nach der deutschen Übersetzung
rüsten sollen (Jos 4,9; Jer. 6,4; 22,7; 51,27f; Joel 4,9; Mi 3,5).
Sich für den Krieg der Herrn heiligen bedeutet im Alten Testament,
sich Weihehandlungen bzw. Sühneritualen unterziehen, in denen die
ausgemusterten Kämpfer sich von allen egoistischen, unheiligen Antrieben
reinigen sollen.
(5) Neben den "Kriegen des Herrn" überliefert das Alte
Testament eine Reihe von eigenmächtigen kriegerischen Unternehmungen,
die nicht dem Überleben des Gottesvolkes dienen, sondern ungerechtfertigter
Bereicherung (Ri 18; 1Kön 22).
(6) Der Rabbiner Leo Baeck sprach im Blick verdrängen, es sollte
für ihn kein Platz mehr im Lande sein." (Leo Baeck, Die Verdrängung
Gottes, London, 11.11.1945)
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