Steine des Anstoßes
Mit seinen "Stolpersteinen" sorgt Gunter Demnig in ganz Europa
für Diskussionen
von Lutz Debus
Im Eingang liegen knapp ein Dutzend der berühmten
Pflastersteine, lose gestapelt auf einem Haufen. Auf den Oberseiten der
Steine glänzen Messingplatten. "Fehlanfertigungen", erklärt
Gunter Demnig. Alle der inzwischen über 12.500 "Stolpersteine",
die er verlegte, hat er hier in seinem Kölner Atelier angefertigt.
"Reine Handarbeit. Jeder Buchstabe wird einzeln ins Metall geschlagen",
erklärt der Künstler. Drei seiner berühmten Hüte,
die er bei der Arbeit in europäischen Fußgängerzonen und
auf Bürger-steigen trägt, hängen an der Garderobe. Die
Wirkungsstätte weist ein nicht unerhebliches kreatives Chaos auf.
Tassen, Briefe, Hämmer und Meißel bilden ungewöhnliche
Arrangements. Auf einer Empore hat der 61-Jährige sein Büro
und eine Schlafstätte eingerichtet. "Früher in Kassel habe
ich auch schon immer bei meinen Kunstwerken geschlafen. Da brachte mir
die Putzfrau morgens immer einen Kaffee." Eine Wand der ehemaligen
Hinterhofwerkstatt ist mit einem Ungetüm aus Pappmaché ausgefüllt.
"Meine Orgel!" Pappröhren verbinden einen Kompressor mit
Papptrichtern. Demnig zeigt ein Schaltpult. Damit könne man Melodien
spielen. Der tiefste Ton liegt bei acht Hertz. "Für das menschliche
Ohr nicht wahrnehmbar. Aber bereits die 16-Hertz-Orgelpfeifen in französischen
Kirchen seien nicht für die Ohren sondern für den ganzen Körper
bestimmt. "Diese Töne erzeugen Erhabenheit."
Der Schwerpunkt seiner Arbeit sei aber nicht die Herstellung
von Papporgelpfeifen, die Erhabenes vermitteln, sondern die "Stolpersteine".
Vor kurzem ist Demnig von einer Reise nach Bayern, Österreich und
Ungarn zurückgekommen. Überall dort hat er weitere Steine verlegt.
Besonders gefreut hat ihn, dass nun auch in München Steine liegen.
Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hatte sich vehement gegen die
Stolpersteine ausgesprochen und die Verlegung auf städtischen Flächen
untersagt. Nun hat ein Münchner den Eingangsbereich seines Hauses
zur Verfügung gestellt, damit den dort vor über 60 Jahren lebenden
Juden gedacht werden könne. Spitzbübisch grinst Demnig: "Das
Pikante: an jener Straße wohnt auch der Oberbürgermeister."
Mit dem Berliner Klang in der Stimme berichtet er von der Verlegung: "Da
bin ich - knirsch - an das Öffentliche gegangen." Soll heißen,
dass Demnig jene Stolpersteine nur wenige Millimeter entfernt vom verbotenen
städtischen Bürgersteig verlegt hat.
Die Provokation ist sein Gebiet. Schon als Student legte
er sich mit seinem Professor an. Jener regte sich Ende der 1960er-Jahre
über die Zerstörungswut der Studenten auf. Jemand habe blutrot
Napalm auf eine Kunststoffverkleidung gesprüht. Demnig versuchte
dem Hochschullehrer zu erklären, dass das Plastikteil von der Firma
hergestellt wurde, die auch das mörderische Kampfmittel fertige.
Der Professor blieb bei seiner Haltung. Demnig wechselte daraufhin die
Universität. Erste Bekanntschaft mit der Polizei machte er auch zu
jener Zeit. Der Vietnamkrieg tobte. Demnig hängte ins Schaufenster
seines Ateliers in Berlin-Kreuzberg eine amerikanische Flagge. Doch statt
der weißen Sterne hatte er 50 Totenköpfe ins blaue Rechteck
gemalt. Am nächsten Morgen kam die Kripo, nahm ihn mit aufs Revier.
Noch heute empört ihn die schikanöse Behandlung dort. Sein damaliger
Rechtsbeistand, Otto Schily, noch nicht Ex-Innenminister sondern Anwalt
der linken Szene, konnte ihm versichern, dass er mit der Verfremdung der
"Stars and Stripes" keine Straftat begangen habe.
Doch Ärger mit Behörden und Polizei hatte Demnig
auch in den folgenden Jahren. Immer ging es ihm darum, im öffentlichen
Raum Spuren zu hinterlassen, und zwar nicht immer mit amtlicher Genehmigung.
Doch waren diese Aktionen zunächst eher abstrakter Natur. Wer hier
welche Spuren hinterließ, diese Frage musste damals noch der Betrachter
beantworten. 1980 lief Demnig drei Wochen lang von Kassel nach Paris.
Dabei malte er mit einer Maschine einen Kreidestrich auf seinen Weg. Kurz
vor der französischen Hauptstadt wurde er von einem Gendarm aufgehalten.
"Kunst ist nur das, was man im Wohnzimmer aufhängen kann",
habe dieser ihm mitgeteilt, erzählt Gunter Demnig noch heute gern.
Ein Jahr nach dem Fußmarsch nach Paris malte der Künstler eine
Blutspur bis nach London. Für die Verwendung von Tierblut aus einer
Schlachterei sei er zu einer Strafe von 30.000 DM verurteilt worden, die
später aber wieder zurückgenommen wurde. 1982 spannte Demnig
einen roten Faden von Kassel nach Venedig; den von ihm so genannten "Ariadnefaden".
In der griechischen Mythologie wird eben dieser Faden benutzt, um aus
einem Labyrinth wieder herauszukommen. Aus welchem Irrgarten sich Demnig
befreien wollte? Seine Kunst wurde konkreter, als er im Jahr 1985 nach
Köln zog. 1990 druckte er quer durch die Domstadt einen weißen
Schriftzug. Der Satz "MAI 1940 - 1000 ROMA UND SINTI" war, sich
ständig wiederholend, auf dem Asphalt zu lesen. Die Aktion sollte
an jene Roma und Sinti erinnern, die während ihrer Deportation vom
Lager Köln-Bickendorf bis zum rechtsrheinischen Bahnhof Deutz ziehen
mussten. 1996 verlegte er, damals noch ohne behördliche Genehmigung
die ersten Stolpersteine. Inzwischen hat er für sein berühmt
gewordenes Projekt sowohl den "Obermayer Award" wie auch das
Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen.
Der Künstler, der im Oktober seinen 60. Geburtstag
feiert, hat mit seinen "Stolpersteinen" eine Menge erlebt. In
Halle an der Saale verlegte er vor Jahren acht Stolpersteine, die nach
dem Festakt von Unbekannten wieder aus dem Boden gerissen wurden und verschwanden.
Daraufhin veranstaltete eine örtliche Initiative ein Benefizkonzert.
Mit jenem Erlös konnten dann weit mehr Steine gelegt werden. "Inzwischen
haben sich die Rechten auf Teer eingeschossen", berichtet Demnig.
Allerdings seien die Versuche, Stolpersteine zu überpflastern, nicht
gerade effektiv. "Waschbenzin, ein Spachtel, schon ist der Teer wieder
weg", erklärt der Künstler handwerklich korrekt. Auch einen
Versuch, die Inschrift mit rotem Lack unleserlich zu machen, scheiterte.
"Ich habe den Lack mit Lösungsmittel entfernt. Nur in den Buchstaben
blieb er haften. So wurden die Steine noch besser lesbar." Wenn der
Aktionskünstler solche Anekdoten erzählt, lächelt er verschmitzt.
Es scheint ihm Spaß zu machen, rechten Widersachern eins auszuwischen.
Die meisten Attacken auf verlegte Steine finden in den neuen Bundesländern
statt. Dort ist bei dem Festakt in der Regel auch die Polizei als Schutz
präsent. Im Westen beschränkt sich der Protest auf verbale Äußerungen.
Auch hier reagiert der Künstler meist freundlich. In Würzburg
forderte ihn ein älterer Herr auf, doch "einmal etwas für
Deutsche zu machen". Demnig konterte, indem er einen urdeutsch klingenden
Namen auf dem Gedenkstein vorlas und berichtete, dass jenes Opfer des
Holocaust im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz verliehen bekommen hatte.
Der Vorwurf, sich an den "Stolpersteinen" zu
bereichern, begegnet dem Künstler oft. Demnig reagiert dann mit einer
einfachen Rechenaufgabe. Seit sieben Jahren verlegt er die Steine. Knapp
100 Euro bekommt er für einen Stolperstein. Dies mache einen Umsatz
von etwas über eine Million Euro, im Schnitt also rund 150.000 Euro
pro Jahr. Nach Abzug von Unkosten und Steuern bleibe dem Unternehmen,
dem auch die Koordinatorin Uta Franke angehört, nicht viel. Letztlich,
so erscheint es auf dem Hintergrund dieser Zahlen, ist Demnig ein unverbesserlicher
Idealist. Besonders gefreut hat ihn die Bemerkung eines Hauptschülers
bei einer Informationsveranstaltung: "Bei Ihren Stolpersteinen fällt
man nicht hin, man stolpert mit dem Kopf und dem Herzen."
Oft werden die Steine auch im europäischen Ausland
verlegt. Dies erscheint Gunter Demnig besonders heikel. "Es ist wichtig,
dass die Initiative zur Verlegung der Steine aus dem Land kommt, in dem
dies dann auch realisiert wird." Sowohl in Paris wie in Wien sei
der Vorwurf laut geworden: "Erst marschieren die Deutschen ein. Später
kommen sie dann mit ihren Stolpersteinen." Im Nachbarland Polen wurde
bis heute kein einziger Stein verlegt. Zwar hatte dort auch eine Initiative
Geld gesammelt, von Seiten der Verwaltung wollte man dann aber bestimmen,
dass nur "verdiente Polen" geehrt werden sollten. Insgesamt
ist Demnig mit dem Verlauf seiner Kunstaktion zufrieden, obwohl er sich
damit auch einer persönlichen Gefahr aussetzt. "Mit zwei Morddrohungen
in sieben Jahren kann man leben", spottet er.
Doch nicht alle seine Kritiker sind rechtsradikale Spinner
und Gewalttäter. Die Präsidentin des Zentralrats der Juden in
Deutschland, Charlotte Knobloch, teilt die ablehnende Haltung des Münchner
Oberbürgermeisters Christian Ude. Sie glaubt, dass die Stolpersteine
nazistische Aktionen provozieren. In Krefeld sprach sich die dortige Jüdische
Gemeinde in ähnlicher Weise aus, unterstützte so die ablehnende
Haltung des Oberbürgermeisters Gregor Kathstede (CDU). Bemerkenswert
an dem Verfahren in der rheinischen Provinz war, dass Schüler bereits
für die Steine gesammelt hatten und der Bürgermeister das Geld
für eine andere Form des Gedenkens umwidmen wollte. Gerüchte
in der Stadt besagten, dass ein in der Politik einflussreicher Besitzer
eines Hauses, vor dessen Eingang Steine verlegt werden sollte, um seinen
guten Ruf bangte. Schließlich sei bei der "Arisierung"
von Gebäuden in vormals jüdischem Besitz 1936 in der Regel nur
ein Bruchteil des tatsächlichen Preises gezahlt worden.
In dem Städtchen Erkrath bei Düsseldorf wurde
eine bizarr anmutende Diskussion geführt. Eine örtliche Initiative
wollte zwei Kommunisten ehren. Die CDU-Stadtratsmehrheit allerdings wollte
eine Verlegung von Stolpersteinen nur zustimmen, wenn auch jüdische
Opfer berücksichtigt werden. Doch fast alle Juden waren in den 1930er-Jahren
emigriert. Mühsam "besorgte" eine Historikerin ein jüdisches
Opfer. Eine ältere Dame war zunächst nach Düsseldorf in
das jüdische Altenheim gebracht und dann von dort deportiert worden.
Eigentlich, so Demnigs Maßgabe, sollen nur dort Steine verlegt werden,
wo die Opfer ihren letzten freiwillig gewählten Wohnsitz hatten.
Im Falle von Erkrath nahm es der Aktionskünstler mit seinen eigenen
Statuten also nicht so genau.
Eine profilierte Kritikerin der "Stolpersteine"
ist Ulrike Schrader. Die Literaturwissenschaftlerin leitet die "Begegnungsstätte
Alte Synagoge Wuppertal". Demnigs Kunstaktion sieht sie mit Skepsis.
Sie kritisiert das zu einseitige Totengedenken, hält es für
sinnvoller, an das Leben der Menschen zu erinnern, nicht nur an ihre sie
zu einer Masse machenden Ermordung. Auch das Inflationäre an den
Steinen stört sie. Die Steine verwiesen in ihrem Markencharakter
mehr auf sich selbst als auf das Bezeichnete. "Und wie viele Steine
sollen verlegt werden? Wessen wird gedacht? Wessen nicht?" Außerdem
sei das Projekt stark opferbezogen. Es gebe keinen Aufschluss über
die Täter oder den Widerstand. "Die Identifikation mit den Opfern
ist leicht und auch verführerisch, weil sie garantiert auf der moralisch
richtigen Seite standen." Dagegen sich mit Menschen zu beschäftigen,
die schillernde Figuren waren, unklare Absichten und Vorstellungen hatten
oder die gar mitverantwortlich für die Verbrechen sind, sei sehr
viel schmerzhafter und eben unbehaglicher, weil es einem vor Augen führe,
zu was Menschen im Stande sind.
Befremdlich findet Ulrike Schrader, wie mit den "Stolpersteinen"
eine Art Ablasshandel betrieben werde. Der Spender eines Steines tue sich
selbst einen Gefallen. Die mit der Verlegung einhergehende Pressepräsenz
schmücke manchen Politiker oder anderen Prominenten. Die Leiterin
der Gedenkstätte bringt es auf den Nenner: "Sich den Opfern
anzuverwandeln ist unappetitlich." Dazu zeigt sie ein Faltblatt einer
Initiative. Auf einer Art Bestellschein kann man ankreuzen, für welche
Opfergruppe man sein Geld spenden will. Ein anderes Werbeblatt zeigt die
gülden glänzenden Messingplatten, eingerahmt von zarten weißen
Rosen. "Dekoration darf nicht Gedenken ersetzen."
Über das Motiv der Spender lässt sich nur spekulieren.
Spielt bei manchem der Wunsch eine Rolle, braune Flecken in der Familiengeschichte
rein zu waschen? Fragt man Gunter Demnig nach seinen Eltern, erfährt
man, dass der Vater als junger Mann im Spanischen Bürgerkrieg, auf
Seiten der Faschisten kämpfte. Er wurde zur "Legion Condor"
abkommandiert. "Der war da nicht freiwillig", sagt Gunter Demnig
und sieht dabei unendlich traurig aus.
"Jüdische Zeitung", Oktober 2007, www.j-zeit.de
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