Redepause im Dialog mit der Katholischen Kirche
von Micha Brumlik
Während der langen Jahre des Mittelalters war der
Karfreitag für Juden im christlichen Abendland ein besonders gefährlicher
Tag. In Erinnerung an das Leiden und Sterben Jesu, das den Juden zugeschrieben
wurde, sah sich so mancher Christenmensch aufgefordert, den ermordeten
Gott zu rächen - an den Juden. Ausschreitungen, Pogrome und Plünderungen
waren die Folge; gelegentlich genügte es auch, wenn sich das jeweilige
Haupt der jüdischen Gemeinde beim zuständigen Bischof eine rituelle
Ohrfeige abholte. Die Ghettotore blieben über Ostern vorsichtshalber
geschlossen.
Im Lauf der Zeit, zumal im 20. Jahrhundert, haben sich
die Bräuche zivilisiert. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert
blieben schließlich nur noch angeblich gut gemeinte Fürbitten
übrig. Bis 1953 hieß es in der Karfreitagsliturgie: "Allmächtiger
ewiger Gott, du schließest sogar die ungläubigen Juden von
Deiner Erbarmung nicht aus, erhöre unsere Gebete, die wir ob der
Verblendung jenes Volkes vor Dich bringen: Mögen sie das Licht Deiner
Wahrheit, welches Christus ist, erkennen und ihrer Finsternis entrissen
werden. Durch ihn, unsern Herrn, Amen."
Etwa zehn Jahre später, beim zweiten Vaticanum, hatte
sich in der katholischen Kirche herumgesprochen, dass solch ein Gebet
für ein Volk, dessen Angehörige noch kurz zuvor in der Finsternis
der Gaskammern und der Massengräber elend gestorben sind, womöglich
nicht nur geschmacklos, sondern politisch inakzeptabel und sogar theologisch
falsch war. Papst Paul VI. zog die Konsequenz und ordnete Mitte der 70er-Jahre
eine Fürbitte für jene an, "zu denen Gott, unser Herr,
zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und
in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein
Ratschluss sie führen will."
Die katholische Kirche kennt zwar verschiedene liturgische
Formen, aber nur eine Wahrheit. Demgemäß ist ernst zu nehmen,
dass der gegenwärtige Papst in der - für eine Minderheit bestimmten
- lateinischen Karfreitagsliturgie folgendes Gebet anordnet: "Oremus
ut ... illuminet corda eorum, ut agnoscant Iesum Christum salvatorem
omnium hominum." - "Lasset uns beten, dass Gott ihre Herzen
erleuchte, auf dass sie Jesus Christus als Retter der Menschheit (an)erkennen."
Damit wird nicht mehr und nicht weniger für wahr
gehalten und bekannt, als dass unser jüdisches Herz in besonderer
Weise noch immer verfinstert und erlösungsbedürftig ist. Für
andere Nichtchristen wird am Karfreitag jedenfalls in dieser Deutlichkeit
nicht gebetet.
Der offiziell vorgeschobene kirchenpolitische Grund für
diese rückschrittliche Neuerung ist der des gegenwärtig amtierenden
Papstes, die von seinen Vorgängern vergraulten Traditionalisten des
inzwischen verstorbenen und exkommunizierten Erzbischofs Lefebvre in den
Schoß der Kirche zurückzuholen - eine vor allem französische
Gruppierung, die ihre Wurzeln im französischen Faschismus der Action
Française hat und mörderische Diktatoren wie Franco, Salazar,
Videla und Pinochet unterstützte.
Jene jüdischen Repräsentanten, die auch nach
dieser reaktionären liturgischen Neuerung noch immer mit der katholischen
Kirche offiziell weiterreden wollen, nehmen ihr Gegenüber offenbar
nicht ernst. Die katholische Kirche ist ihrer Verfassung gemäß
eine absolute Monarchie, in der als wahr gilt, was durch den jeweiligen
Papst als Gottes Stellvertreter auf Erden unter bestimmten Bedingungen
dekretiert wird. Daran sind dann - im Grundsatz - alle Katholiken gebunden,
unabhängig davon, ob sie dem nun im Einzelnen nachkommen oder nicht.
An der theologischen "Wahrheit", dass Katholiken im Zeitalter
von AIDS keine Kondome benutzen dürfen, ändert sich auch dann
nichts, wenn einzelne Katholiken sich gleichwohl verantwortlich verhalten.
Es darf nicht sein - und es hilft dem Gegenüber auch
nichts -, dass Juden stets hoffnungsvoll, aber doch wie besinnungslos
weiterreden, wenn die katholische Kirche, als sei nichts geschehen, Entscheidungen
trifft und vollendete Tatsachen schafft. Angesagt sind daher deutliche
und weithin sichtbare Zeichen - zum Beispiel eine Redepause, die ja keine
Denkpause sein muss. Die Verweigerung gemeinsamer religiöser Feiern
ist zudem das Mindeste, was die Selbstachtung gebietet. Von Benedikt XVI.
ist nach eigener Auskunft eine Änderung nicht mehr zu erwarten. Lasst
uns gleichwohl dafür beten, dass Gott das Herz des Papstes erleuchte,
vom Antijudaismus abzulassen: "bimhera bejameinu" - "schnell,
noch in unseren Tagen"!
Jüdische Allgemeine, 13.3.2008
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