Jüdische Brückenschläge zum Islam
Abraham Geiger und die Anfänge der modernen Koranforschung
von Hartmut Bomhoff
Ende Juni fand auf Schloss Elmau eine vielbeachtete internationale
Tagung zum Thema "Der Islam aus jüdischer Sicht - das Judentum
aus islamischer Sicht" statt, initiiert von Michael Brenner, Lehrstuhlinhaber
für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität
München. Die Resonanz im deutschsprachigen Feuilleton war beachtlich.
Die Neue Zürcher Zeitung berichtete von Schwierigkeiten beim Dialog:
"Wie schlecht es dagegen in der Gegenwart sogar auf akademischer
Ebene um den Austausch zwischen Muslimen und Juden bestellt ist, führte
der an der King Saud University in Riad lehrende Saad al-Bazei aus. Wo
die Auseinandersetzung mit einem europäisch-jüdischen Denker
- etwa Spinoza, Freud, Derrida - schlechthin unumgänglich sei, versuche
man in der arabischen Welt, dessen jüdischen Hintergrund nach Möglichkeit
auszublenden; das Wort jüdisch' provoziere so irrationale wie
unselige Abwehrreflexe. Ebenso fehle aber auch auf jüdischer Seite
die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit arabischem Geistesleben; und
leider schien die Veranstaltung da und dort dieses Defizit widerzuspiegeln."
Und die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb: "Die Beiträge
zum islamischen Blick auf das Judentum überwogen. In umgekehrter
Richtung wurde eher auf Historisches zurückgegriffen, auf den mittelalterlichen
Philosophen Moses Maimonides etwa, dessen Begeisterung für den persischen
Gelehrten Alfarabi allerdings kein Geheimnis ist." Ein Name, der
wiederholt auf Elmau und in den Presseberichten fiel, ist der von Abraham
Geiger, einem der Vordenker der Wissenschaft des Judentums. Dan Diner,
der auch das Elmauer Eingangsreferat hielt, raisonierte in der "Welt"
darüber, was der Islam von den historischen Erfahrungen des Judentums
im Westen lernen kann: "Die Wissenschaft des Judentums' als
eine sich zusehends säkularisierenden Selbstdeutung der Juden trug
nicht unerheblich dazu bei, ihnen den Eintritt in die Geschichte zu erleichtern.
[...}Die islamische Minderheitenjurisprudenz in den Bereichen den Alltags
und der, große Fiqh' in Fragen der unabhängigen Erkenntnis
können gemeinsam dazu beitragen, in Analogie zur historischen Wissenschaft
des Judentums' Muslimen den Weg zu "einer nicht-sakralen Weltdeutung
zu weisen, der ihrer Tradition angemessen ist."
Was hat nun aber Abraham Geiger mit dem Islam zu tun?
Diese Frage stellten sich bereits im Februar 2005 angehende Rabbiner und
deutsche Arabisten, jüdische Islamwissenschaftler und praktizierende
Moslems in Berlin. Über einhundert Interessenten waren damals auf
Einladung des Seminars für Arabistik an der FU Berlin, des Arbeitskreises
"Islam und Moderne" am Wissenschaftskolleg und des Abraham Geiger
Kollegs in die Akademie der Künste gekommen, um sich über ein
Thema zu verständigen: "Was hat Mohammed aus dem Judenthume
aufgenommen?" Diese Fragestellung stammt bereits aus dem Jahr 1832
und wurde damals von der Königlich Preußischen Rheinuniversität
formuliert; der Orientalist und Rabbiner Abraham Geiger (1810 - 1874)
erhielt für seine Dissertation als Antwort darauf nicht nur den Preis
der Bonner Universität, sondern wurde damit auch zum Wegbereiter
für eine moderne Islamwissenschaft. Geiger ging in seiner Arbeit
sehr systematisch vor: er benutzte seinerzeit nichts als den nackten arabischen
Wortlaut des Korans, um den Text als Philologe mit den Methoden der historischen
Kritik' zu erforschen, und berücksichtigte keine späteren islamischen
Schriften; er betrachtete den Koran nicht als göttliche Offenbarung,
sondern analysierte ihn als menschliche Schöpfung. Seine Fragestellung
war:"Was wollte, konnte und durfte Mohammed aus dem Judenthume aufnehmen?"
Er wandte sich dabei gegen die islamfeindliche Tradition der christlichen
Orientalistik, die Mohammed stets als Scharlatan, falschen Propheten und
Betrüger diffamiert hatte; für Abraham Geiger war Mohammed ein
Erneuerer der vor ihm existierenden Religionen, aber kein Religionsstifter.
Sein Ziel war "eine Vereinigung aller Religions-Ansichten zum Heile
der Menschen". In seinem Vorwort zum Reprint von Geigers Schrift,
der 2005 im Berliner Parerga-Verlag erschienen ist, konstatiert Friedrich
Niewöhner: "Geigers Darstellung der Entstehung der koranischen
Botschaft liest sich wie die Entstehung des Islams aus den Quellen des
Judentums. Die Entstehungsgeschichte des Koran ist zwar weitaus komplizierter,
als Geiger sie darstellt, sie trifft im Kern aber dennoch etwas, was gerade
auch heute noch (wieder) gültig und unumstritten ist: die enge Verbindung
zwischen jüdischen (und den von Geiger nicht berücksichtigten
christlichen) Lehren und dem Koran." Das Ergebnis des Versuches,
den Koran philologisch zu sehen, ist die Anerkennung des Islams als eine
Art Schwesterreligion. Viel später schreibt Abraham Geiger in der
letzten seiner 1864 gedruckten zwölf Vorlesungen über "Das
Judentum und seine Geschichte" zur Entstehung des Islams: "An
der Wiege dieser neuen Kultur stand gleichfalls das Judentum mit seiner
Lehre. Was Gutes am Islam ist, was als ein haltbarer Gedanke in ihm scheint,
das ist ihm aus dem Judentum übernommen. Mit dem Rufe Es gibt
keinen Gott als den einzigen Gott' stürmte der Araber mit seinem
wilden Rosse durch die Welt, und diesen Ruf, er hat ihn nicht selbst vom
Sinai vernommen, er hat ihn von denjenigen überkommen, die ihn als
ihr Erbe durch die Welt getragen. Das ist der einzige fruchttragende und
weltüberwindende Gedanke, welche der Islam in sich trug. Er schmückte
ihn aus und wiederholte ihn mit leeren tautologischen Formen, er verbrämte
ihn und auch dies mit jüdischen Anschauungen und Erzählungen."
Über die Methode der historischen Kritik gelangte Geiger schließlich
auch zur Auseinandersetzung mit Jesus als Juden und Menschen. Die Beschäftigung
mit dem Christentum hatte klare apologetische Züge und war damit
Pflicht, die mit Mohammed und dem Koran dagegen war Kür, geschah
quasi aus Liebe.
Bis zur Schoa waren es immer wieder europäische Orientalisten
jüdischer Herkunft, die sich aus dem Bewusstsein der größeren
Verwandtschaft heraus mit der Erforschung des Islams befassten. Die Initiatoren
des Berliner Studientages wollten mit ihrer Tagung nicht nur Geigers Schrift
von 1833 mit aktuellen Forschungsergebnissen verbinden, sondern auch an
diese jäh abgerissene Wissenschaftstradition anknüpfen; zugleich
stellten sie die Frage, ob die Wissenschaft des Judentums als Gründerdisziplin
einer modernen Korankritik verstanden werden kann; die Tagungsbeiträge
werden nun auf vielfachen Wunsch im Frühjahr 2008 veröffentlicht
werden. Die Wissenschaft des Judentums stellte im 19. Jahrhundert fest,
dass es die islamische Umwelt gewesen war, die den Juden das griechische
Denken einst neu erschließen ließ und sie so in Europa zu
Wegbereitern für die Wiederbelebung der klassischen Antike gemacht
hatte. Um es mit Geiger zu sagen: "Ja, man spöttelt gar oft
über die Juden als Vermittler von Geschäften, als über
die, die die alten, abgelegten Kleider zum Verkaufe ins Haus brachten.
Ja, sie haben die abgelegten Kleider der alten Bildung den Völkern
Europas ins Haus gebracht, und wenn sich diese sich nicht mit jenen Überresten
bekleidet hätten, so wären sie ganz nackt gewesen.". Dass
die islamisch-jüdische Symbiose aber nicht lange währen sollte,
hat Abraham Geiger in seinem Werk über Salomon ibn Gabirol bedacht,
in dem er auch auf den Untergang der islamischen Vorherrschaft in Europa
"als Frucht der inneren Haltlosigkeit" zu sprechen kommt - aber
das wäre ein Thema für eine weitere Tagung.
"Jüdische Zeitung", August 2007, www.j-zeit.de
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