Zionismus - Antizionismus
von Klaus-Peter Lehmann
Der erste von Theodor Herzl, dem Begründer des Zionismus,
1897 nach Basel einberufene Kongress verabschiedete die Formel: "Der
Zionismus erstrebt für das jüdische Volk eine öffentlich-rechtlich
gesicherte Heimstätte in Palästina." Dieses Programm blieb
trotz konkurrierender Richtungen für den Zionismus insgesamt verbindlich.
Er verstand sich über die Balfour-Deklaration 1917 (1) bis zur Gründung
des Staates Israel am 15.5.1948 als "Kampf um die nationale Wiedergeburt"
des jüdischen Volkes. Bis zum Ende des Nationalsozialismus war der
Zionismus im Judentum umstritten. (2) Seit dem Bekanntwerden der Gräueltaten
von Auschwitz ist der Staat Israel unter den Juden als ihre politische
Mitte anerkannt. Ein nichtjüdischer Antizionismus dagegen regte sich
nach dem 2. Weltkrieg, nahm Anstoß an der Politik des Staates Israel
und hinterfragte die Existenzberechtigung eines jüdischen Staates.
Er erweist sich als dürftig drapierter Antisemitismus nach Auschwitz.
Der nichtjüdische Antizionismus geht von der ungerechten
Behandlung der Araber aus, die z.T. aus ihrem Land vertrieben und aus
jüdischen Betrieben herausgehalten wurden. (3) Zurecht besteht der
Vorwurf, dass die Zionisten in ihrer Mehrheit von der Illusion eines Landes
ohne Volk für ein Volk ohne Land ausgingen. (4) Die daraus abgeleitete
Charakterisierung der zionistischen Politik als kolonialistisch, rassistisch
und imperialistisch ist angesichts der Rechtsverhältnisse in Israel
und der Größe des Staatsgebietes deutlich überzogen. Doch
hat dieses Bild immer wieder dazu gedient, Ungerechtigkeiten israelischer
Politik gegenüber den Palästinensern mit nationalsozialistischen
Gräueltaten gleichzusetzen. Entsprechendes gilt für die Überzeichnung
der israelischen Politik als nationalistisch (5) und faschistisch, die
sich meist einseitig auf Ideologie und Maßnahmen der Hagana bezieht.
Die Grundlagen zionistischer Politik und die Araberfrage
waren von Anfang an umstritten. Unter der Fahne einer "Heimstätte
in Palästina" sammelten sich vier Strömungen, die später
in die sozialistischen, die nationalen, die religiösen und die Rechtsparteien
übergingen. Grundorientierung der Politik war für erstere die
soziale Frage, für die zweite die gleichberechtigte Eingliederung
in die internationale Staatengemeinschaft, für die dritte die Orientierung
an der religiösen Tradition als vorrangig vor der nationalen Idee,
für letztere der Primat der Machtpolitik (Hagana). Eine Position
kritischer Solidarität hatte der "Kulturzionismus" inne.
Seine Sprecher Achad Haam und Martin Buber plädierten für eine
Renaissance des Judentums aus dem Geist biblischer Prophetie. Sie bildeten
eine Minderheit, die die Araberfrage als Bewährungsaufgabe des Zionismus
betrachtete. Denn auch die Sozialisten ordneten die Klassensolidarität
den national-jüdischen Interessen unter. Als durch die Völkermordpolitik
der Nationalsozialisten der Ausbau einer sofortigen Zufluchtsstätte
notwendig wurde, schwand die Bereitschaft auf die Belange der palästinensischen
Araber Rücksicht zu nehmen, und so wurden sie tragischerweise zu
einem Leidtragenden der NS-Herrschaft in Europa. (6)
Die entscheidenden Einwände gegen den nichtjüdischen
Antizionismus sind folgende:
n Seine Entstehung nach dem 2. Weltkrieg, als Auschwitz
zum moralischen Imperativ für einen jüdischen Staat geworden
war. Er läuft auf eine Bestreitung des Rechtes der Juden auf eine
vor dem weltweiten Antisemitismus geschützte politische Existenz
hinaus.
n Seine Unfähigkeit, den Zionismus als Folge der
jüdischen Leidensgeschichte besonders Europa zu verstehen. Denn der
Zionismus war der Exodus der Juden aus dem europäischen Antisemitismus.
Ihm lag die Erfahrung zugrunde, dass auch eine bis zur Selbstaufgabe gehende
Assimilationsbereitschaft das antisemitische Vorurteil nicht zum Schweigen
bringen konnte. (7)
n Seine Unfähigkeit, das Judentum als Religions-
und Volksgemeinschaft zugleich mit einer ewigen Bindung an ein bestimmtes
Land anzuerkennen. Denn die gesamte jüdische Geschichte und ihre
Überlieferung ist eine einzigartige Urkunde des Verhältnisses
zwischen dem jüdischen Volk und seinem Land, ein Zeugnis für
das Recht des Zionismus. In dieser Ignoranz überschneidet sich der
Antizionismus mit allen anderen Formen des Antijudaismus. Hier klar zu
sehen hieße, Israel als Gottes auf ewig erwähltes Bundesvolk
anzuerkennen.
Obwohl der Zionismus eine säkulare Bewegung war,
liegen seine Wurzeln in der Bibel und im Talmud. Der Zion, die Hügellandschaft,
auf der Jerusalem erbaut ist, gilt in der Bibel als Gottes Thron (Jes
8,18), er ist Symbol für Israel und seine Errettung vor den Feinden
(Ps 46; 48), er ist reale Zufluchtstätte (Jes 12) und Kristallisationspunkt
der Verheißungen auf einen ewigen Völkerfrieden (Jes 2,1-5;
11,1-10; 25,6-8): Vom Zion geht das ewige Leben aus. Die Rückkehr
der Exilierten ist Auferstehung (Ez 37,1-14), zweite Erlösung (Jer
23,7f). Um sie wird gefleht (Ps 137) und geweint (Jer 31,15-17). Die erhoffte
Rückkehr zum Zion bildet den geschichtlichen Horizont der jüdischen
Bibel. (8) Im Talmud und im Frömmigkeitsleben ist die Feier des Pesach
mit der Erwartung der künftigen Erlösung verbunden, die als
Wiederholung des Auszuges aus Ägypten und Rückkehr ins verheißene
Land vorgestellt wird. Zwar gab es zwischen 70 p.C. und 1948 immer wieder
messianisch inspirierte Rückkehrbewegungen, (9) doch blieben das
Gebet am Seder-Abend und am Ausgang des Versöhnungfestes: "...im
kommenden Jahr in Jerusalem" für die Mehrheit der Juden ferne
Hoffnung ohne praktische Bedeutung. Das änderte sich erst mit dem
säkularen Zionismus.
So ist paradoxerweise der säkulare Zionismus von
eminent religiöser Bedeutung. Er demonstriert die prophetische Auferstehungshoffnung
(Ez 37,1-14) und die geschichtliche Lebendigkeit der biblischen Landverheißungen
für Israel. Mit dem Staat Israel können alle Juden in der Welt
wieder aufrecht gehen. So ist der Zionismus Aufforderung an die christlichen
Kirchen, sich von der Erbsünde des Antijudaismus zu befreien, weil
sie in ihm den ewigen Bund Gottes mit Israel wiedererkennen können.
(1) Am 2. 11. 1917 erkannte die englische Regierung die
zionistischen Forderungen an und verfügte über Lord Balfour
eine Erklärung, in der von der "Schaffung einer nationalen Heimstätte
(home for the Jewish people)", für die sie "größte
Anstrengungen machen" wolle, die Rede ist.
(2) Der jüdische Antizionismus speiste sich aus zwei Motiven, einer
säkularen Illusion und einem religiösen Problem. Das assimilierte
Judentum hielt bis Auschwitz an der Idee einer Symbiose besonders mit
der deutschen Nationalkultur fest. Viele orthodoxe Juden sehen im Aufbau
eines jüdischen Staates einen unzulässigen menschlichen Eingriff
in Gottes erlösendes Handeln, das die Errichtung eines Staates erst
mit dem Kommen des Messias vorsieht. Andere sehen im Zionismus ein besonderes
göttliches Handeln, weil Israel nun aus vielen Völkern herausgeholt
worden ist und nicht nur aus einem wie beim Auszug aus Ägypten (5Mose
4,32).
(3) Der 5. Zionistenkongress beschloss den Ausschluss arabischer Arbeitskräfte
aus jüdischen Betrieben.
(4) Schon Nahum Goldmann, Präsident des Jüdischen Weltkongresses
von 1949 bis 1977, erkannte darin den "großen historischen
Denkfehler des Zionismus."
(5) Aufgrund ihrer Leidensgeschichte wird sich bei den Juden ein dem Nationalismus
anderer Völker vergleichbares Nationalgefühl nie durchsetzen
können. Denn der Zionismus ist faktisch eine Sammlungsbewegung von
international Geschmähten und Verfolgten. Dieser immer gegebene geschichtliche
Bezug eines jüdischen Nationalgefühls ist mit Ausnahme der Armenier
ohne Analogie bei anderen Völkern. Diese verankern ihren Nationalstolz
stets in einem Datum ruhmvoller geschichtlicher Größe. Die
Leidensgeschichte der Juden wird ein dahin strebendes jüdisches Nationalgefühl
immer brechen.
(6) Durch diesen Hinweis ist nicht in Abrede gestellt, dass die arabisch-palästinensische
Seite durch ihre Ablehnung des UN-Teilungsplanes vom 29. 11. 1947 sich
selber die Zukunft erschwerte. Zu fragen ist auch, inwieweit ein stets
antisemitisch unterlegtes Bild vom jüdischen Staat (Alle Juden ins
Meer) von vornherein eine schwer überwindbare Verhärtung darstellte.
Zudem hat eine unkritische Solidarität mit den Palästinensern,
wie sie in der unsäglichen UNO-Resolution vom 10. 11. 1975 ihren
Höhepunkt fand, Vorurteile auf arabischer Seite gefördert. Diese
Resolution verurteilte den "Zionismus als eine Form des Rassismus."
(7) Selbst W. Rathenau, von der Möglichkeit einer Symbiose zwischen
Deutschtum und Judentum überzeugt, litt unter dem schmerzlichen Gefühl,
"dass er als Bürger zweiter Klasse in die Welt getreten ist
und dass keine Tüchtigkeit und kein Verdienst ihn aus dieser Lage
befreien kann." Für Th. Herzl führte die Dreyfuß-Affäre
zu derselben Erkenntnis.
(8) Die Bücher der jüdischen Bibel schließen mit den Chronik-Büchern,
an deren Ende es heißt: Wer immer unter euch zu seinem Volke gehört,
mit dem sei sein Gott, und er ziehe hinauf! Die jüdische Bibel schließt
mit der Aufforderung an alle Juden, ins Land Israel zu ziehen!
(9) 1286 verließen viele jüdische Familien aus Mainz, Worms
und Speyer ihre Besitztümer, um sich dem angeblich in Palästina
aufgetretenen Messias anzuschließen. 1665/66 wurde Sabbatai Zwi
in Kleinasien als Messias ausgerufen und löste in Europa eine hektische
Auswanderungswelle aus. Bis Ende des 18. Jhdts. wanderten vor allem Anhänger
der Kabbala aus, um für die messianische Erlösung zu wirken.
Am 22. 6. 1798 erließ Napoleon im Krieg gegen die Türken einen
"Aufruf an die Juden", ihren alten Staat neu zu gründen.
Obwohl die meisten Juden den Türken treu blieben und Napoleons Feldzug
scheiterte, löste dieser Aufruf bei vielen Juden neue Gedanken aus,
nämlich durch politisches Handeln die Rückkehr zu erwirken.
So verkündete 1830 R. Jehuda Bibas, die Rückkehr Gottes hänge
von der vorherigen Rückkehr Israels in sein Land ab. Ein Vordenker
des Zionismus war Moses Hess. Er analysierte in seinem Buch "Rom
und Jerusalem" (1862) die Judenfrage als "letzte Nationalitätenfrage".
Motiviert von einem prophetischen Sozialismus sah er eine Lösung
nur im national-jüdischen Rahmen, in der Rückkehr nach Zion.
Wirksamer Anstoß für den Zionismus waren die Bewegungen der
"Zionsfreunde" und "Zionsliebenden, die sich 1881/82 in
Rußland bildeten und jüdische Selbstbefreiung sowie die Kolonisation
Palästinas propagierten. Th. Herzls 1896 erschienene Schrift "Der
Judenstaat" gab den Anstoß zur organisatorischen Zusammenfassung
der in Europa sich regenden national-jüdischen Verbindungen. (Über
den angeblichen Messias D. Reubeni und die 6 Rückkehrschübe
(Alija) nach Palästina, s. Art. Land Israel - Land der Verheißung,
Anm. 6 und 7).
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