Mit Bussen und Bahnen in den Tod
Drei bundesweite Initiativen beleuchten die Rolle der Verkehrsmittel bei der Deportation
von Lutz Lorenz

Anschaulichkeit in der Vergangenheitsbewältigung ist immer problematisch. Wo liegt die Grenze zwischen der Vermittlung von Wissen über den Holocaust zur Pietät gegenüber den Opfern? Im größer werdenden zeitlichen Abstand zu den Morden liegt auch die Gefahr, ihre Schrecken zu relativieren, zu verharmlosen, ja zu vergessen. Die wenigen Zeitzeugen werden in einigen Jahren nicht mehr leben. Wie also soll Erinnerungskultur noch das erreichen, was uns wichtig bleiben muss.

„Ausstellungen wie diese machen die Dimension des Verbrechens erst begreiflich, geben einzelnen Menschen ihr Gesicht zurück und entreißen sie der anonymen Opferzahl, um deretwillen man sich schwer erinnert“, erklärt die Präsidentin des Zentralrates der Juden, Charlotte Knobloch, bei der Eröffnung einer der Expositionen: Derzeit beschäftigen sich drei bundesweite Ausstellungsprojekte sehr anschaulich, begehbar und sogar „anfaßbar“ mit der Rolle der Verkehrsmittel und ihrer Betreiber bei der Deportation.

„Grauen Busse“ wurden in den so genannten „Aktionen T4“ eingesetzt, um zwischen 1940 und 1941 etwa 70.000 psychisch Kranke im „Dritten Reich“ zu deportieren. Bis zum Ende des Krieges fielen insgesamt etwa 200.000 Behinderte den Euthanasieaktionen der Nazis zum Opfer. Der Begriff „T4“ geht auf die Bürozentrale der Sonderdienststelle für ihre Ermordung zurück, die sich in einer Villa der Berliner Tiergartenstrasse 4 befand. Heute steht dort die Philharmonie.

An diesem authentischen Ort ist seit Mitte Januar und für etwa ein Jahr ein Mahnmal zu sehen und vor allem zu begehen: Ein grauer Bus, aus Beton in Originalgröße jenen Bussen der „Gemeinnützigen Krankentransportgesellschaft“ GEKRAT nachempfunden, mit denen die Deportationen aus sechs Heilanstalten durchgeführt wurden. Ein zweiter Betonbus blockiert dauerhaft die alte Pforte der ehemaligen Heilanstalt Weißenau, von wo aus die Busse zum Tötungsort Grafeneck fuhren. Ein identischer Denkmal-Bus wechselt von Jahr zu Jahr seinen Standort und hält so die Erinnerung „in Bewegung“. Nach dem Standort Berlin sind bundesweit weitere Aufstellorte geplant. Historisch überliefert ist die Frage eines der Opfer: „Wohin bringt Ihr uns...?“, unter diesem Motto steht die deutschlandweite „Fahrt“ des Denkmals der grauen Busse. www.dasdenkmaldergrauenbusse.de

Im Untergeschoss des Bahnhofes Berlin-Potsdamer Platz hat die Deutsche Bahn in Zusammenarbeit mit der französischen Initiative „Söhne und Töchter der deportierten Juden aus Frankreich“, eine Wanderausstellung über die Verantwortung der Deutschen Reichsbahn bei der Deportation in die Vernichtungslager unter dem Titel „Sonderzüge in den Tod“ eröffnet. Auch diese Exposition, die in Berlin bis zum 11. Februar zu sehen sein wird, soll anschließend in zehn deutschen Städten gezeigt werden. Die nächsten Stationen sind Halle (Saale), Schwerin und Münster. An allen Orten sind umfangreiche Rahmenprogramme geplant, vor allem mit Heranwachsenden. Die Ausstellung konzentriert sich auf die Deportation jüdischer Häftlinge sowie der Sinti und Roma. Sinnvoll in die Ausstellung integriert ist die Darstellung des Schicksals von 11.000 jüdischen Kindern aus Österreich und Deutschland, denen zwar mit ihren Eltern die Flucht nach Frankreich gelang, die nach der Annexion dennoch der Vernichtungsmaschinerie zum Opfer fielen. Nur ein einziger Reichsbahner stand jemals vor Gericht - und wurde dauerhaft verhandlungsunfähig erklärt.

Auch wenn die Ausstellung im Basement des Bahnhofes ein wenig untergeht wird sie zu einem wesentlichen Meilenstein der Aufarbeitung der deutschen Bahngeschichte werden: Die Erfahrungen in der bundesweiten Rezeption durch die Reisenden werden in die Arbeit des DB-Museums Nürnberg eingehen, so Bahnhistorikerin Susanne Kill.

Bundesverkehrsminister Tiefensee sprach bei der Eröffnung der „Sonderzüge in den Tod“ von der Notwendigkeit, das diese Exposition „kein singuläres Ereignis bleiben“ dürfe, wir vielmehr „alle Möglichkeiten suchen [sollten], alles Erdenkliche gegen Antisemitismus, Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit zu tun“. Dabei müsse es darum gehen, „Kraftquellen für die vielen Tage zu finden, die nicht als Gedenktage herausgehoben sind“. www.db.de/geschichte

Ein solches nicht-singuläres Ereignis ist zweifellos der „Zug der Erinnerung“, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, speziell die deportierten Kinder dem Vergessen zu entreißen (wir berichteten in unserer Dezember-Ausgabe auf Seite 5 ausführlich). Der Zug, der in mehreren Waggons die Geschichte der europäischen Deportationen in beispielhaften Biografien nacherzählt, ist derzeit hauptsächlich in Thüringen und im Ruhrgebiet unterwegs. Nun hat sich eine Initiative gegründet, die die rollende Ausstellung ab Mitte April auch nach Berlin bringen will. Mit den Stationen Berlin-Grunewald und Berlin-Westhafen sollen die Orte der Deportation Berliner Juden an der Putlitzbrücke und vom „Gleis 17“ ebenso angefahren werden, wie mit Berlin-Lichtenberg und Berlin-Schöneweide die heutigen Hochburgen der rechten Szene der Bundeshauptstadt.

Die Initiatoren bitten um Spenden, um die Kosten der deutschlandweiten Zugfahrt und der Aufenthalte auf Reisebahnhöfen bundesweit in Höhe von bis zu 500.000 Euro bestreiten zu können, die derzeit von der Deutschen Bahn AG trotz entsprechender Forderungen, beispielsweise durch den thüringischen Ministerpräsidenten, nicht erlassen würden. Unser Verleger, Nicholas Werner, gehört zum Kreis der Erstunterzeichner eines entsprechenden Aufrufes der Veranstalter des „Zuges der Erinnerung“. www.zugnachberlin.de

Alle drei Ausstellungsprojekte werden wir mit unserer Berichterstattung im kommenden Jahr an ihren Stationen in ganz Deutschland begleiten.

„Jüdische Zeitung“, Februar 2008

www.j-zeit.de

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