«So eilt denn zu den guten Dingen»
Rabbiner Reuven Firestone, jüdischer Islam-Experte aus Los Angeles

Professor Firestone, als sie bei einer Diskussion im Berliner Ernst-Reuter-Haus neulich Koransuren auf Arabisch vortrugen, da war das Eis unter den zumeist türkischen muslimischen Zuhörern schnell gebrochen. Woher kommt diese Nähe eines amerikanischen Rabbiners zum Arabischen?
«Ich war 1970 als Teenager zum ersten Mal in Israel und landete für ein paar Monate im arabischen Viertel der Altstadt von Jerusalem. Damals herrschte so eine Art Aufbruchstimmung. Die Palästinenser genossen den wirtschaftlichen Aufschwung nach 1967, die jüdischen Israelis erkundeten noch unbekümmert die besetzten Gebiete. Ich als Jude war damals bei vielen arabischen Familien durchaus willkommen und besuchte auch Dörfer außerhalb Jerusalems. Das waren eben andere Zeiten. Nach meiner Ordination zum Rabbiner 1982 am New Yorker Hebrew Union College habe ich 1988 meinen Doktor in Arabischen und Islamischen Studien an der New York University gemacht. Ich habe auch ein paar Jahre lang den Sprachunterricht in Hebräisch und Arabisch an der Boston University geleitet, bevor ich 1993 nach Los Angeles wechselte. Die Verbindung zum meinen arabischen Freunden ist die ganze Zeit über nicht abgerissen, und außerdem ergeben sich ständig neue Kontakte. Letztes Jahr habe ich mit meiner Familie ein Sabbatical in Kairo verbracht, wo meine Kinder auf eine ägyptische Schule gingen, zusammen mit meist muslimischen Klassenkameraden. Das war für sie auch eine wichtige, ja gute Erfahrung.»

Wie ist es denn überhaupt zu der Podiumsdiskussion in Berlin gekommen? Hatten Sie keine Sorge, dass das Thema «Whose Jerusalem? The Holy City in Judaism, Christianity, and Islam» schnell zu politisch aufgeheizten Debatten führt?
«Ich habe die letzten Wochen als Fellow am Abraham Geiger Kolleg an der Universität Potsdam verbracht und in dieser Zeit insbesondere die angehenden Rabbiner in einer Art Schnellkurs mit dem Islam vertraut gemacht. Daneben stand eine Reihe von Vorträgen auf dem Programm. Das Kolleg hat einen guten Draht zum Forum für Interkulturellen Dialog in Berlin, das mich dann zu dieser Diskussion eingeladen hat. Ich habe mich dem Thema «Jerusalem» anhand von Texten aus den drei religiösen Traditionen genähert und darüber mit Celem Usak diskutiert, dem Vizepräsidenten der Vereinigung der Journalisten und Schriftsteller und Generalsekretär der Plattform für Interkulturellen Dialog in Istanbul. Das Publikum war an diesem Textvergleich weit mehr interessiert als an der Tagespolitik im Nahen Osten. Wir sollten einander ohnehin nicht immer gleich Feindseligkeit unterstellen.»

Sie meinen, dass uns häufig Klischees und Stereotypen den Blick auf unser Gegenüber verstellen?
«Ja, und das auf vielen Ebenen. Interreligiöser Dialog kann auch unbeherrscht, polemisch und aggressiv ausfallen. Man unterstellt der anderen Seite Ressentiments und begibt sich ohne Not in eine Abwehrhaltung. Dabei geht es im Dialog doch nicht darum, Punkte oder Konvertiten für sich zu gewinnen. Oft misst man die andere Religion mit ganz anderen Maßstäben als die eigene. Häufig stellte man das Beste der eigenen Religion das Schlechteste der anderen gegenüber. Vergleicht man die Friedenssehnsucht der Tora mit kämpferischen Versen im Koran, so kommt man zu anderen Schlüssen als bei der Gegenüberstellung von durchaus aggressiven Toraversen und friedvollen Suren. Die Idee vom heiligen Krieg gibt es ja auch in der jüdischen Tradition. Ich sitze gerade an einem Buch über das Wiederaufleben dieser Idee im Judentum. Und wenn wir schon über Stereotypen reden: In Deutschland gibt es Vorbehalte gegenüber der Bildungsbewegung von Fetullah Gülen, zu der auch Celem Usak und das Forum für Interkulturellen Dialog gehören. Aber entsprechen deren Werte nicht sehr der religiösen Emanzipation der jüdischen Neo-Orthodoxie im 19. Jahrhundert? Wir Juden sehen da Parallelen. Und sollten diejenigen, die in Deutschland die Gülen-Bewegung unter die Lupe nehmen, sich nicht eher Gedanken über Chabad Lubawitsch machen? Was bei Muslimen hinderlich ist, betrachtet man hier bei Juden als vermeintlich authentisch und unbedenklich.»

Und wie schaut es mit Ihrem Verhältnis zu Israel aus?
«Als ich 1970 das erste Mal ins Land kam, habe ich meine Zeit selbstverständlich nicht nur unter Araber verbracht. Ich lebte auch zwei Jahre lang in einem Kibbutz an der Grenze, arbeitete in der Molkerei und fühlte eine tiefe Verbundenheit mit den Kämpfen und den Träumen der Zionisten. Meine Erfahrung mit den jüdischen Israelis hat damals auch meinen Sinn für die Verbindung mit meiner kollektiven Geschichte und für die Bemühungen um eine gemeinsame Zukunft geschärft. Eine Zukunft, in der Juden im Staat Israel in Frieden leben werden. So wie viele andere amerikanische Juden bin ich immer wieder nach Israel zurückgekehrt, um dort zu studieren, zu arbeiten, Ferien zu machen. Doch ich habe dabei auch immer wieder Zeit mit meinen arabischen Freunden verbracht und habe ihre Entwicklung aufmerksam verfolgt. Dadurch fand ich mich von Anfang an immer wieder in dieses Verhältnis von Juden und Araber einbezogen, in die Beziehungsgeschichte von Judentum und Islam, und so bin ich zur Religionswissenschaft an sich gekommen. Um aber auf Israel zurück zu kommen, so habe ich insgesamt wohl sechs, sieben Jahre lang dort gelebt.»

Ihre Bücher bauen Brücken. Dieses Jahr ist «An Introduction to Islam for Jews » erschienen, letztes Jahr «Jews, Christians, Muslims in Dialogue: A Practical Handbook». Und Ihr Buch «Children of Abraham. An Introduction to Judaism for Muslims» kam 2001 heraus und liegt seit 2004 auf Türkisch vor. Verkauft es sich denn?
«Ehrlich gesagt lässt die Resonanz noch zu wünschen übrig. Das liegt aber vielleicht auch an der Vermarktung. Es wäre natürlich schön, wenn sich unsere Partner im Dialog auch um die Verbreitung solcher Bücher kümmern würden. Das wäre letztlich auch ein Beweis dafür, dass es Ihnen nicht nur darum geht, ihren Islam den Christen und Juden nahezubringen, sondern dass ihnen auch am eigenen Verständnis des Judentums liegt. Inzwischen gibt es übrigens auch eine arabische Übersetzung meines Buches, aber noch keinen Verlag dafür.»

Sie sind auch Direktor des Center for Muslim-Jewish Engagement an der University of Southern California. Was hat man sich darunter vorzustellen?
«Wichtig ist zunächst, dass unser Zentrum aus der Zusammenarbeit einer muslimischen Stiftung, nämlich der Omar Ibn Al Khattab Foundation, mit unserem liberalen Rabbinerseminar, dem Hebrew Union College, und einer Forschungseinrichtung, dem Center for Religion and Civic Culture, entstanden ist und seinen Platz an einer säkularen Universität gefunden hat. Wir bilden Gemeindemitglieder und -mitarbeiter für Interreligious Outreach aus, entwickeln neue Lehrmaterialien und stellen sie ins Internet und verstehen uns auch als akademischen Think Tank. Unser Ziel ist es, Dialog und gegenseitiges Verständnis voranzutreiben, und zwar an der Basis als persönliche „Grassroot"-Begegnung und in Form von Partnerschaften von Religionsgemeinden und akademischen Einrichtungen. Sie haben vielleicht von der Zusammenarbeit der jüdischen Reformbewegung in Nordamerika mit der Islamic Society of North America gehört. Es gibt inzwischen erstaunlich viele Begegnungs- und Studienprogramme für Synagogengemeinden und Moscheen, und die Initiatoren können der großen Nachfrage kaum gerecht werden.»

Gerade ist in Madrid die Weltkonferenz der Religionen zu Ende gegangen, zu der die Islamische Weltliga auf Initiative des saudischen Königs Abdullah eingeladen hatte. Haben Sie schon eine Meinung dazu?
«Ob und wie die Beschlüsse der Experten bis zur Basis vordringen werden, bleibt abzuwarten, aber das Problem haben wir immer, wenn Dialog zur Gremienarbeit wird. Spannend ist aber, dass auch Anhänger fernöstlicher Religionen, etwa Hindus und Schintoisten, nach Madrid gekommen sind. Das ist so bemerkenswert, weil es für den klassischen Islam nie ein Problem gewesen ist, die anderen Religionen des Buches zu dulden und als Gesprächspartner anzuerkennen. Aber Vertreter dieser östlichen Traditionen? Die gelten für viele Moslems noch immer als Polytheisten, Atheisten, Götzendiener. Sie mit in die Konferenz einzubinden, das ist ein deutlicher Durchbruch.»

Und was bedeutet die Konferenz für das Gespräch unter den „«Kinder Abrahams»?
«Die Konferenz hat ganz offiziell und von islamischer Seite bestätigt, dass jüdisch-muslimischer Dialog nicht nur möglich ist, sondern in vielen Ländern auch schon seit Jahren praktiziert wird. Das dürfte gerade für die Konferenzteilnehmer aus eher geschlossenen islamischen Gesellschaften eine neue Erfahrung gewesen sein, die man nicht mehr rückgängig machen kann. Aber ich war ja nicht dabei, so dass ich zu konkreten Ergebnissen nichts sagen kann.»

Um auf Ihre Tätigkeit als Professor für Mittelalterliches Judentum und Islam am Hebrew Union College zurückzukommen: Kann jemand, der sich dem arabischen Kulturkreis doch recht eng verbunden fühlt, objektive Wissenschaft betreiben?
«Ich habe ja schon deutlich gemacht, dass ich einen grundsätzlich positiven Zugang zum Islamhabe, aber ich hoffe doch, dass dies auch ein realistischer Zugang ist. Vielleicht kommt das manch einem Zuhörer oder Leser eigentümlich vor, weil man sich von einem Dozenten und Autor eher einen neutralen Standpunkt erwartet, der weder wohlwollend noch ablehnend ist. Was aber die Religionswissenschaft betrifft, so frage ich mich, ob ein rein objektiver Zugang möglich ist. Religion ist so mächtig, sie basiert auf so starken Bildern und Ideen, und sie stellt eine so dynamische Bindung dar, dass es geradezu unmöglich ist, neutral zu bleiben. Auch wenn man sich als Wissenschaftler einer Beurteilung enthalten will: man kann gar nicht anders als eine Meinung zu haben. Wenn meine generelle Haltung zum Islam auch wohlwollend und positiv ist, so beruht meine Herangehensweise doch auf meinem Verständnis jüdischer Werte. Das berühmte Diktum von Rabbi Hillel lässt sich nicht nur auf den Einzelnen, sondern auch auf menschliche Kollektive anwenden: „Richte nicht deinen Nächsten, ehe du selbst nicht in seine Lage gekommen bist."»

Daraus ergibt sich dann die Frage, wie denn ein Nichtmuslim, noch dazu ein Rabbiner, ein Buch über den Islam schreiben kann.
«Ich glaube nicht, dass irgendjemand ganz und gar die Spiritualität und Botschaft einer anderen Religion erfassen kann. Manch einer spürt vielleicht ein gewisses Unbehagen darüber, dass ich als Nichtmuslim die Verantwortung dafür übernehme, Juden den Islam zu vermitteln. Ich habe mich so weit wie möglich bemüht, mir dieser Beschränkung bewusst zu bleiben, und ich habe oft versucht mir vorzustellen, wie es wohl wäre, als Muslim ein Buch zu schreiben, um Muslimen das Judentum nahezubringen. Ich bin mein Buchprojekt „An Introduction to Islam for Jews" dann mit eben diesem Bewusstsein großer Verantwortung und Beschränkung angegangen. Unsere Weisen sagen in den Sprüchen der Väter ja auch, dass niemand verpflichtet ist, alle Probleme der Welt zu lösen, dass es aber auch niemandem freisteht, von seinen Aufgaben abzulassen. Ich hoffe, dass ich den Islam in meinem Buch akkurat und in angemessener Weise dargestellt habe, und dass diese Arbeit ein bisschen mehr Verständnis in eine ganz schön verwirrende Welt bringt.»

Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie auf Ihren Berlin-Aufenthalt zurückblicken?
«Für meine Frau, unseren jüngsten Sohn Amir und mich hat es etwas Aufklärerisches gehabt, über das Abraham Geiger Kolleg mit der jüdischen Gemeinschaft hier in Berlin bekannt zu werden. Wir haben Gottesdienste in ganz unterschiedlichen Synagogen besucht, sind mit den Menschen ins Gespräch gekommen und haben sogar Verwandte meiner Frau getroffen, die wir vorher noch nie zu Gesicht bekommen hatten. Und natürlich sind die jüngste europäische Geschichte und die Politik hier jetzt an erster Stelle in meinem Bewusstsein. Es ist mir auch wichtig, erste Kontakte zur türkischen Gemeinschaft hergestellt zu haben und dass ich bei Francesca Albertini an der Universität Potsdam und bei Angelika Neuwirth an der Freien Universität sprechen durfte, einmal über „Divine Authority and Mass Violence - Holy War in Judaism, Christianity and Islam", dann zu „Abraham and Authenticity". Sehr spannend war es, das Team von Wissenschaftlern zu treffen, das an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Corpus Coranicum arbeitet. Habe ich schon erwähnt, dass ich bei diesem Projekt nun mitmachen werde? Das Vorhaben, nämlich die Dokumentation des Korantextes in seiner Überlieferungsgestalt und die Erstellung einen umfassenden Kommentar dazu, hat übrigens einen schönen Bezug zum Abraham Geiger. Schließlich hat Abraham Geiger die moderne Koranwissenschaft im 19. Jahrhundert mit begründet. Meine Familie und ich habe aber auch unsere Freizeit sehr genossen und sind in Berlin und Potsdam viel Fahrrad gefahren.»

Gibt es ein Wort aus dem Koran, das Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben wollen?
«Mit Bezug auf Pluralismus und Dialog kommen mir die folgenden Verse in denn Sinn: „Und wenn Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Doch will Er euch prüfen in dem, was Er euch hat zukommen lassen. So eilt denn zu den guten Dingen um die Wette. Zu Gott werdet ihr allesamt zurückkehren, dann wird Er euch das kundtun, worüber ihr uneins waret." (Koran 5: 48) Dieses Bemühen um die guten Dinge, das kennen wir als Juden als Tikkun.»
Das Gespräch führte Hartmut Bomhoff

«Jüdische Zeitung», August 2008

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