Offenbarung und Geschichte
Gottes Offenbarung in Israel und in seiner Geschichte
von Martin Stöhr

I
Die Frage

Der preussische König Friedrich II, ein Agnostiker und Religionskritiker wie sein Freund Voltaire(1694-1778), fragte seinen Leibarzt nach einem Gottesbeweis. Er bekam zur Antwort „Majestät, die Juden!“ der

 

Die Frage nach „Offenbarung und Geschichte“ hat vier Aspekte, wenn man sie für das Problemfeld „Israel – Volk - Land – Staat“ zu bedenken versucht:

  1. Eine erste Gefahr besteht darin, dass der Empfänger der Offenbarung auch ihr Monopolinterpret sein will, also den Offenbarer, Gott, im Grunde überflüssig macht. Das Offenbarte wird zum verfügbaren Eigentum oder Instrument der Empfänger, die Nicht-Empfänger werden zu Aussenseitern. Überflüssig wird Gott auch, wenn die Interpretation der biblischen Botschaft vergessen lässt, dass sie ein die HörerInnen inspirierendes, ein sie veränderndes Gegenüber ist. Hier handelt es sich um die klerikal-fundamentalistische Versuchung der Religionen, die meint einen „Absolutheitsanspruch“ vertreten oder durchsetzen zu müssen. Kollateralschäden sind ein Freund-Feind-Denken sowie autoritäres Vertrauen in jedwede Macht.

Am Beispiel der Kirchen heisst das zB: Es vergisst der „Leib Christi“, dass das Haupt des Leibes Christi mit Gottes freiem Geist, ein kommunikatives, ein befreiendes und ein kritisches Gegenüber der Kirchen ist. Dieses Haupt Christus kann durch keine Tradition, kein Lehramt, keine Kirchenordnung oder durch keine Anlehnung an kulturelle, politische oder ökonomische Mächte fixiert oder ersetzt werden. In der klassischen Literatur hat Fjodor Dostojewski in seiner „Legende vom Grossinquisitor“ die Gefahr aufgezeigt: Jesus begegnet auf der Erde dem Grossinquisitor. Dieser versichert ihm, man habe seine Sache gut in die Hand genommen. Es sei besser er gehe wieder, da er ihn sonst unter Umständen auch verbrennen müsste. Die Wahrheit stirbt an den Verwaltern seiner Sache den Kältetod.

  1. Eine zweite Gefahr besteht in der selektiven Aneignung von Gottes Handeln und Reden in und an Israel durch die christliche Gemeinde (oder auf eine andere Weise: die Umma ). Dann werden die biblischen Ur- und Vätergeschichten, die Psalmen und Propheten (auch die nur in Auswahl!) als Bruchstücke ein dem Corpus der Bibel entnommen. Vergessen wird dabei, dass Jesus, die Apostel und Autoren des NT als Juden keine andere Bibel hatten als die Hebräische Bibel. Sie ist und bleibt als Ganzes voll gültiger Teil der christlichen Bibel. Das Neue Testament ist ein Midrasch zum Alten. Die christliche Bibel hat in der schriftlichen Offenbarung des Tenach sowie in der mündlichen Offenbarung von Talmud und Midrasch neben sich eine eigene variantenreiche Lesart der Offenbarungen Gottes in Israel. Warum sind die Verheissungen Gottes an Israel, ihm – wie allen Völkern - ein Land zu geben, nicht voll gültiger Teil des christlichen Glaubens wie es die Schöpfungsgeschichte, die Messiasverheissungen, oder die Lieder und Gebete sind? Aufgrund welcher Kriterien gilt das Eine als überholt und ausgeschieden während das Andere übernommen wird? Das Kriterium „Was Christum treibet“ (Martin Luther) ist in der hebräischen Version „Was den Messias treibet“ nur ein Kriterium neben zB die Weisung Gottes zu tun, zu beten, Gott zu vertrauen.

 

  1. Eine dritte Gefahr besteht in der Aussage „Die Juden sind post Christum natum ein Volk wie jedes andere“, sein Staat heute ein Staat wie jeder andere. Der als der Messias geglaubte Jesus von Nazaret ordnet es ein in die Menge der Völker, weil es – so sagen es doch schon die Propheten – nicht seiner Berufung lebte. Mehrheitlich teilt es den christlichen Messiasglauben nicht, es tötete diesen Messias. Die Kirchen verstehen sich jetzt als wahres Israel (Verus Israel), das Gottes Volk Israel zwar als Wurzel oder Mutter, also historisch schätzt, aber nicht als Schwester und Mitpilger. Hans Ehrenberg charakterisiert diesen Umgang mit Land und Volk Israel so: Das Judentum ist von der Kirche als Sprungbrett benutzt worden, um von ihm in die Vollendung und Vollkommenheit, ins Himmelreich, hineinzusprimgen, und wenn es diesen Dienst geleistet hat, bekommt es einen Fußtritt.

Die Kirchen weigern sich, neben sich ein wanderndes Gottesvolk zu sehen, geschweige denn anzuerkennen, dass dieses Volk auf Grund derselben Motive, Ethik und Hoffnungen auf denselben Gott genau zum selben Ziel, der Vollendung und Erlösung der Welt, unterwegs ist. Die Kirchen verzichten damit aber auch auf das ewig mahnende Denkmal eures ‚Noch-nicht. Wenn Rosenzweig meint, dieser prophetisch mahnende Dienst komme von einem stummen Diener, so wäre wohl daran zu erinnern, dass es sich um einen von der christlichen Mehrheitsgesellschaft all zu oft stumm gemachten Diener handelt.

  1. Eine spezifisch deutsche Gefahr besteht darin, dass vor und in der Zeit des Nationalsozialismus bestimmte Gegebenheiten wie Blut, Rasse, Staat den sakralen Rang von göttlich geschaffenen Wirklichkeiten erhalten. Als sog. Schöpfungsordnungen sollen sie die entscheidenden Faktoren sein, die die Rahmenbedingungen des Christ- und Kircheseins bestimmen. Sie sind autonome Grössen. Ihre Eigengesetzlichkeit – weil angeblich von Gott geschaffen – immunisiert sich gegen die konkreten Gebote der biblischen Botschaft.

 

(Die südafrikanische, weisse Apartheidpolitik hatte dieses Denken übernommen und in Gesetze einer Rassendiskriminierung gegossen. In der bis 1994 gültigen Verfassung wird an die Exodus-Tradition und an den Gott erinnert, der unsere Vorväter aus vielen Ländern zusammengeführt und ihnen dieses Land gegeben hat…).

In der Gründungsurkunde der Deutschen Christen vom 6.Juni 1932 heisst es: Wir sehen in Rasse, Volkstum und Nation uns von Gott gegebene Lebensordnungen. Paul Tillich antwortet im selben Jahr mit dem Hinweis, dass, wenn der Protestantismus derartige Schöpfungsordnungen vertrete, er seine prophetische Grundlage  sowie seinen Auftrag, für den ‚einen’ Gott und die ‚eine’ Menschheit zu zeugen, zugunsten eines neuen offenen oder verhüllten Heidentums verrate.

Vielleicht ist heute zu fragen, ob nicht die Ökonomie mit ihrem Pochen auf Eigengesetzlichkeit die Rolle des Staates übernommen hat, nachdem die Gestaltungsmöglichkeiten der Staaten zugunsten der Wirtschaft gering geworden sind.

Theologisch ist die Bearbeitung dieser Probleme dadurch vorbereitet, dass Augustinus (354-430) innerhalb der allumfassenden Civitas Dei, der Gottesherrschaft, das Reich der Liebe und das politisch Gemeinwesen unterscheedet. Die Unterscheidung ist einerseits notwendig, um nach Konstantin, erst Recht nach Theodosius (380 Christentum wird Staatskirche) eine Theokratie oder einen Cäsaropapismus zu verhindern. Andererseits erliegt die Christenheit nicht selten beiden Versuchungen. Nach Eusebius (Vita Constantini IV,24) sagt Konstantin: „Ihr seid von Gott zu Bischöfen dessen bestellt, was innerhalb des Bereiches der Kirche liegt, ich aber zum Bischof dessen, was ausserhalb desselben liegt.“ Die Anerkennung des Christentums als Staatsreligion wird in der Folgegeschichte erkauft durch eine Einengung des Verantwortungshorizontes. Die Wege der Nachfolge verkürzen sich, da öffentliche Bereiche des menschlichen Lebens und Zusammenlebens zugunsten der privaten aussen vor bleiben. Für Augustinus allerdings gibt das Ethos von Pax et Iustitia die Ziele der Res Publica vor. Sie ist nicht von der Aufgabe entbunden, Recht und Gerechtigkeit zu verwirklichen. Beide Reiche stehen also nicht notwendigerweise im Gegensatz zueinander, geraten aber in Konflikt, wenn Begründung und Verwirklichung die biblischen Gebote der Liebe, des Friedens und der Gerechtigkeit vernachlässigen, vor allem dann, wenn das erste Gebot durch irgendeinen säkularen Herrschaftsanspruch gefährdet wird.
Biblisch vorgebildet ist dieser Gedanke durch die Bibel mit ihrem Glauben an einen Schöpfer der einen Menschheit. Er ist der eine Vollender der einen Welt, der sich in dieser Welt eine von der Welt der Völker differierende, alternative Grösse wie Israel und durch Israel die Kirche schafft. Hinzu kommt die apokalyptische Unterscheidung von weltlicher Herrschaft und kommendem Gottesreich, das Gewicht des Ersten Gebotes, dass jede säkulare Macht unter Gott (Rö 13) relativiert, oder der Gedanke vom Leib Christi (Rö 12; 1Kor 12), in dem Christus als Gemeinde existiert , sowie die kritische Frage nach dem, was Gottes ist oder was des Kaisers ist (Mt 22,21).

Die christliche Frage nach Israel ist sowohl eine Frage nach dem Selbstverständnis und nach der Identität der Kirchen, nach ihrem Verhältnis zur Macht (genauer zum Ersten Gebot)  sowie eine Frage nach dem Rang der Nachfolge. Gott zu vertrauen heisst ihm nachzufolgen. Verlangt das nicht, die biblische Ethik als evangelische Halacha in ihren Beziehungen zu Israel und zu den Mächten der Welt ernst nehmen und weiter entwickeln? F. W. Marquardt bedenkt die Möglichkeit einer Evangelischen Halacha, indem er vom Judentum lernt. Eine evangelische Halacha sucht Wege des heute Gott vertrauenden Tuns  gesucht . Er bezieht sich auf Karl Barths Gotteslehre und ihrem Grundgedanken Gottes Sein in der Tat, genauer Gott ist, der er ist, in seinen Werken. Das Tun ist nicht eine Folge des Glaubens, sonst wird dieser zu Theorie oder zum Dogma (fides quae creditur) entwertet. Es ist Gott vertrauendes Leben. Wandelt auf allen Wegen, euch der Herr geboten hat (Dtn 5,30). Christus hat den Tod besiegt, damit wir in einem neuen Leben wandeln. (Rö 6,4).

Wie sieht vor diesem Hintergrund christlicher Versuchungen ein christliches Verständnis aus, das Israel gerecht wird, seiner bleibenden Berufung als singuläres Volk Gottes, seiner göttlichen Zueignung eines bestimmten Landes mitten in der Völkerwelt und der Wiedererrichtung eines neuzeitlichen Staates? Israel bedeutet dreierlei:
Israel ist ein lebendiges, vielgestaltiges Kollektiv von Menschen aus Fleisch und Blut, ein Volk (am Jisrael). Es lebte immer und heute in der Diaspora und immer und jetzt so stark wie nie im Lande Israel (erez Jisrael) Seine Geschichte ist ebenso alt wie zeitgenössisch lebendig, wenn man es leben lässt. Es handelt sich weder um eine überholte noch um eine nur geistige Grösse. Es hat seit 1948 zum ersten Mal nach 135 wieder das Schutzgehäuse eines Staates (medinat Jisrael).

Es ist eine alte christliche Praxis, Israel die lebendige Existenz als Volk und als Gottesvolk weg zu definieren oder zu bestreiten. Dieses geht einher mit einer spiritualisierenden Auffassung von Israel, wofür beim notwendigen Übergang von hebräischen in hellenistische Sprach- und Denkweisen durch eine platonische und aristotelische Koiné hervorragende Mittel zur Verfügung stehen. Ebenfalls ist mit der Israel-Negation verbunden – vor allem in der augustinisch-lutherischen Tradition – eine Relativierung der Tora. Sie wird nicht in ihrer lebendigen Streitkultur und Fortentwicklung erkannt oder gar anerkannt, sondern als Gegenbegriff zur Freiheit verstanden. Die prophetische Selbstkritik Israels wird als Bestätigung der eigenen Kritik an Israel genommen: Die andere Methode, mit der Tora fertig zu werden, ist, dass man Israel vorwirft, sie nicht gehalten zu haben.

Justin der Märtyrer sieht in der Zerstörung Jerusalems und des Tempels  eine Erfüllung prophetischer Verkündigung, wie sie zB in Jes 64, 9-11 ausgesprochen wird: „Jerusalem ist verwüstet. Unser heiliges und herrliches Haus, wo unsere Vorfahren dich gelobt haben, ist ein Raub des Feuers geworden.“ Überlesen wird, dass es sich um die Tempelzerstörung 586 vChr handelt und vor allem, dass es ein Schrei zu Gott ist, er wolle sich nicht „zurückhalten, schweigen und uns nicht demütigen!“ Aus dem Gebet und aus der prophetischen Selbstkritik Israels wird eine christliche Geschichtstheologie gegen Israel. Jes 1,7 und Jer 50,3 werden ähnlich missbraucht. Justin betont die Einsetzung des Tempel- und Opferkultes in Dtn 16,5+6, um dann zu sagen; wenn dieses gottesdienstliche Zentrum als Ort und als Gottesverehrung nicht mehr existiert, dann ist die heilsgeschichtliche Rolle Israels beendet bzw auf die Kirche übergegangen. .

Diese Linie geht nahtlos über in dieselbe Argumentation eines NS-Buches zur Geschichte Israels:
Tertullian (+ 220) sieht die Zerstörung Jerusalems durch das Alte Testament vorhergesagt. Die Ursache von Zerstörung sind ihre Verfehlungen gegenüber Gott. Wie schwer sie sich verfehlt haben…das würde…ihre heutige katastrophe beweisen. Zerstreut, unste umherirrendvertrieben vom Boden und Himmel ihrer Heimatdurchstreiefn sie den Erdkreis, ohne einen Menschen, ohne Gott zum König zu haben. Und es wird ihnen nicht einmal erlaubt, als Fremdlinge ihr Vaterland zu besuchen.

Johannes Chrysostomos (+ 407) benutzt die die Zerstörung Jerusalems und die Zerstreuung der Juden ebenso wie seine Vorgänger, wird in der Ostkirche der entscheidende Lehrer. Die Zeit der Tora ist mit dem Tempel vorbei wie Israel vorbei ist. Es ist die Strafe für die Kreuzigung Christi. Die ein einziges Land bewohnten, sind über die ganze Erde zerstreut…rechtlos Gefangene, beraubt der Freiheit, des Vaterlandes, des Priestertums und aller Dinge, die ihr früher hattet…gehasst von allen Menschen, verabscheuungswürdig, allen preisgegeben, von ihnen Schlimmes zu erleiden. Recht so!  
Die Auswirkungen dieser Theologumena in der Ostkirche analysiert im Horizont des christlich-jüdischen Dialogs Thomas Kratzert, „Wir sind wie die Juden“. Der grischisch-orthodoxe Beitrag zu einem ökumenischen jüdisch-christlichen Dialog. Berlin 1996.

Papst Leo VII (936-939) rät den ihn anfragenden Erzbischof von Mainz den Juden den Glauben an die Heilige Dreifaltigkeit und das Geheimnis der Fleischwerdung des Herrn zu predigen…Wollen sie aber nicht glauben, seid Ihr von Uns autorisiert, sie aus euren Städten zu vertreiben. Die Vertreibung und Vernichtung der rheinisch-jüdischen Gemeinden sollte eineinhalb Jahrhunderte später blutige Wirklichkeit werden, als 1095 Papst Gregor VIII auf dem Konzil zu Clermont zum Kreuzzug aufrief, nachdem Papst Sergius IV (1009-1012) dies 1012 schon einmal vergeblich getan hatte.

Martin Luther folgt im Wesentlichen dieser Spur, auch in seiner judenfreundlichen Schrift von 1523 „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“. Die Zerstörung Jerusalems und die Vertreibung in die Diaspora sind auf der einen Seite Strafe Gottes und zugleich in einer abschreckenden schwarzen Pädagogik eine Mahnung an die Christen.
Luther hat in seiner Nachdichtung von Ps 130 „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ ein Wallfahrtslied und -gebet Israels zu Recht für christliche MitbeterInnen vergegenwärtigt. Die Völker dürfen mithoffen und mitbeten, was Israel hofft und betet. Paulus fordert sie Rö 15, 9 – 12 mit einer Collage von Texten aus der Hebräischen Bibel (Dtn 32,43; Ps 117,1; Jes 11,10)  ausdrücklich dazu auf. Aber in der 4. Strophe (EG 299) spricht Luther von Israel rechter Art, das aus dem Geist gezeuget ward. An Pfingsten wird die Kirche geboren durch den Geist Gottes. Diesen wird Gott (nach Joel 3) ausgiessen über alles Fleisch. Nach der nicht nur von Luther benutzten Denkfigur wird der Geburtstag der Kirche zum Sterbe- oder Abschiedstag des Israel unrechter Art. Denn es wurde nach dieser Lesart post Christum natum aus dem Fleisch gezeuget. Die Berufung zum Volk Gottes ist auf die Kirche übergegangen. Was die Völker sich nach Gottes universalen, in Israel erschlossenen Willen sich aneignen dürfen, wird ihm aber enteignet.

Luther ist in seiner Nachdichtung ein typisch protestantischer Christ. Er entnimmt dem Psalm 130 einen Beleg für seine Fassung der Rechtfertigungslehre, die zu fatalen Konsequenzen führt: Es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben. Während Joel und die Psalmen ihre Hoffnung darauf setzen, dass Gott Sünden nicht anrechnet und ein Gott der Vergebung ist, ist mitkeinem Wort des Alten oder Neuen Testamentes dieIrrlehre zu belegen, dass unser Tun umsonst sei auch in dem besten Leben. Wie ein Blick ins Paradies kommt es Luther vor, als er ein befreiendes, ein biblisches Verständnis von Gottes Gerechtigkeit entdeckt. Das befreit ihn von seiner ihm anerzogenen, Angst machenden Vorstellung von einem Gott. Ein solcher Gott misst wie ein Buchhalter die Leistungen der Menschen, lässt die Gnadenmittel durch eben jene Organisation verteilen und bezahlen, die auch die Angst verteilte. Die Gerechtigkeit Gottes ist im AT wie im NT an ein Vertrauen auf Gott, den Schöpfer und Vollender der ganzen Welt gebunden. Er stellt sich nicht nur im ersten Gebot als ein Gott vor, der von Schuld und Irrwegen befreit. Die oben zitierten Bibelverse wie jene, die Luther jubelnd in Psalm 31,2 (errette mich durch deíne Gerechtigkeit) und durch Rö 3,28 (Denn wir halten fest: Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben, unabhängig von den Taten, die das Gesetz fordert)leiten das Menschsein des Menschen aus dem alleinigen Gottsein Gottes, also das Ethos der menschlichen Humanität aus der göttlichen Humanität ab. Pirque Avot (3,19) bekräftigt das: Mit Güte wird die Welt gerichtet und nicht nach der Menge der Werke.

Schon Johann Amos Comenius hat in seinem Abschiedsbrief – nach der Zerstörung der Böhmischen Brüdergemeinde – neben die hohe Anerkennung der Lutherischen Reformation (meine liebste Schwester...in meiner Einsamkeit) eine sehr kritische Anfrage formuliert. Comenius hinterlässt als Erbschaft und zu deinem Wohl den Wunsch, dass eine geordnetere Zucht und bessere Vernunft bezüglich des Artikels von der Rechtfertigung ohne seinen schädlichen Missbrauch, wie er sich unter deinen Söhnen verbreitet hat. In der Tradition der Ersten Reformation gehört die Nachfolge Christi zu den notae ecclesiae und nicht nur (nach CA VII) Predigt und Sakramentsverwaltung. O meine Freunde,…ihr möchtet begreifen, dass eine Kenntnis Christi ohne Nachfolge Christi und ein Sich-im-Evangelium-Freuen ohne Bewahren des Gesetzes der Liebe, zu dem doch das Evangelium führt, nichts  ist, nur ein böser Missbrauch des Evangeliums.

Dietrich Bonhoeffer kann in seiner Kritik an Theologie, Kirche und Frömmigkeit seiner Zeit – es war 1937, die Zeit der höchsten Gefährdung Israels - in seiner Auslegung der Bergpredigt (Nachfolge) den zitierten Vers nicht mehr singen. Die Rechtfertigungslehre aber trennte weder Bekennende Kirche von den Deutschen Christen noch die Pietisten von den Liberalen. Dieses reformatorische Erbe blieb als Lehre in allen protestantischen Lagern unangefochten. Aber diese unterschiedlichen Lager trennten sich in der Frage, ob und wie Solidarität mit Israel zu üben sei. Die mit Israel solidarische Gruppe war kleiner als winzig klein. Die Lehre und Predigt von Gottes reicher Gnade war in der ganzen Nazizeit weder eingeschränkt noch verstummt. Sie kam mit den Vernichtungsplänen gegenüber Israel nicht in Konflikt. Einer biblischen (damals nicht vorhandenen) Israellehre und eine dementsprechende, solidarische Praxis hätten sehr wohl durch die Rettung jüdischen Lebens der Vernichtungsaktion widerstanden. Ich spekuliere nicht, mache nur darauf aufmerksam, dass eine „korrekte“ Christologie oder Rechtfertigungslehre durch eine häretische Praxis desavouiert werden. Aber die Kirchen lebten eine billige Gnade. Billige Gnade heisst Gnade Rechtfertigung der Sünde und nicht des Sünders. Weil Gnade doch alles allein tut, darum kann alles beim alten bleiben…Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge.

David Flusser schlägt in dieselbe Kerbe: Um das biblische Ethos als Handlungsanweisung zu relativieren, wurde eine kompakte Theologie entwickelt, ein ganzes Lehrgebäude über das Wesen von Sünde, Glaube und Gnade sowie eine Aktivierung solcher Seiten der Christologie, die dazu angetan waren, das jüdische Gesetz zu relativieren. Die biblische Materialität und Realität von Sünde und von Vergebung hat etwas zu tun mit der Realität und physischen Materialität des jüdischen Volkes. Eine teure Gnade führt zu ganz anderen Kosten der Nachfolge in der realen Welt, in der persönlichen und öffentlichen Wirklichkeit, dort wo Recht und Gerechtigkeit ebenso wenig zu spiritualisieren sind wie Israel. Flusser schliesst an diese Überlegungen zur Erwählung einer Personengruppe, also Israels den Hinweis an: Zum Volk Israel gehört auch das Land…Im Neuen Testament wird dem nicht widersprochen.

Die prophetische Toraaktualisierung und Selbstkritik Israels wird Israel gestohlen und als Bestätigung der eigenen christlichen Kritik an Israel eingesetzt. Jakob, Mose, David, Hosea, Hesekiel, Jeremia – Diese Männer entstammen wohl dem jüdischen Volk, aber sie sind über ihr Volk hinausgewachsen, sie haben eine allgemein menschliche Bedeutung gewonnen. Darum müssensie in allererster Linie herangezogen werden, wenn man sich ein parteiloses Urteil über den Charakter der Juden bilden will...Sie müssen daher bei der ganzen Frage Antisemitismus Grundlage und Ausgangspunkt bilden.

Der Münchener Erzbischof setzte sich in seinen berühmten Adventspredigten 1933 gegen die Diffamierung des Alten Testamentes als „Judenbuch“ zur Wehr. Er benutzte das das traditionelle Argument der Enterbungslehre: Gott hat Israel den Scheidebrief gegeben. Israel ist aus dem Dienst der Offenbarung entlassen. . Ein wackererStreiter der bekennenden Kirche, Hans Asmussen, legt Luk 19,41-48 so aus: Die Zeit des Heidentums ist vergangen. Die Zeit des Judentums ist vergangen…Das neue Wesen kennt keinen Frieden mit Juden oder Heiden. Beiden steht die christliche Kirche in unüberbrückbarem Gegensatz gegenüber, solange sie überhaupt noch Kirche ist.

Karl Barth sieht in dem Untergang Jerusalems…eine Bestätigung des Abschlusses der Geschichte Israels, als ob es noch eine besondere Bestimmung und Zukunft neben und ausserhalb der Kirche hätte! Israel, in gespensterhaften Gestalt der Synagoge kann nichts anderes bezeugen als den auf den Juden liegenden Schatten des Kreuzes. Die Juden des Ghettos liefern den Gottesbeweis allein durch ihre Existenz,…freudlos und glanzlos, aber sie liefern ihn. In seiner Erwählungslehre spricht er auf der einen Seite davon, dass Israel bleibend erwählt ist, zugleich aber auch, dass Gott es trägt bis es den Messias Jesus erkennt. Das Geheimnis der Fortexistenz der Synagoge neben der Kirche besteht darin, dass  Gott diese Umkehr Israels will. Die Zeichen seines Zorns und seiner Freiheit sind zugleich Zeichen von Gottes Erbarmen.

Die Vorrangigkeit der erwählenden und berufenden Gnade Gottes in Israel und in der Kirche relativiert nicht, sondern stärkt die verbindliche Imitatio Dei oder Imitatio Christi im irdischen Diesseits, mit Israel und nicht gegen Israel. Eine hohe Christologie darf nicht das zu praktizierende biblische Ethos einer Nachfolge entziehen oder nachordnen. Das Glaubensverständnis, das Gen 15,6, Paulus (Rö 4,3) und Jakobus (2,23) an dem Verhalten Abrahams aufzeigen, widerspricht sich nicht. Wie hier die Verknüpfung von Gottvertrauen und Praxis deutlich wird – auch wenn beide zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich akzentuiert werden können – so gibt es eine Verknüpfung von einem Verhalten der Völker gegenüber Israel mit dem Segen, den Gott allen Völkern zugedacht hat. Abraham und seine Nachkommen sind gesegnet wie die Völker, die Israel nicht fluchen oder herabwürdigen. Israel ist nicht Gott, ein solches Verständnis von „Inkarnation“ lehnt Michael Wyschogrod ausdrücklich ab. Gott wohnt in Israel. Er wohnt inmitten Israels Unreinheit…Dies heisst nicht, Gott bewahre, dass Israel HaSchem sei. Die Wirklichkeit des Volkes Israel ist grösser als seine Erscheinungsform. Dass hat etwas zu tun mit der Wirklichkeit der gültig bleibenden Verheissung Gottes an Abraham, an Sara und Hagar, und alle ihre Nachkommen bis heute. Franz Rosenzweig hat, ein halbes Menschenalter (1921) vor dem Versuch, jüdisches Leben zu beseitigen, geschrieben: Der Christ weiss, dass Israel mehr ist als eine Idee, das weiss er, das sieht er. Denn wir leben. Wir sind ewig, nicht wie eine Idee ewig leben mag, sondern wir sind es, wenn wirs sind, in voller Wirklichkeit. Und so sind wir dem Christen das eigentlich Unbezweifelbare. Der Pfarrer argumentierte schlüssig, der dem grossen Friedrich, gefragt nach dem Beweis des Christentums, erwiderte, ‚Majetät, die Juden’. An uns können die Christen nicht zweifeln. Unser Dasein verbürgt ihnen ihre Wahrheit. Eine christliche Variante dieser Anekdote bei Karl Barth macht aus den Juden einen „Gottesbeweis“, der durch die Jahrhunderte mehrheitlich negativ geführt wurde. Nicht ihr Leben, sondern ihr verworfenes Leben sollte die Zuverlässigkeit des Wortes Gottes beweisen.

Ein Teil der grossen Christlichen Friedenskonferenz in Prag – bis 1968 ein offenes Diskussionsforum - veröffentlichte 1967 eine Erklärung, in der es heisst: Was auch immer Christen als Volk des Neuen Bundes von der Treue Gottes zum Volk des Alten Bundes zu bezeugen haben, darf sie nicht hindern zu bekennen: Der Staat Israel ist ein Staat wie jeder andere…Es wird davor gewarnt, ihn und seine Handlungen eine religiöse Verklärung zu geben. Er gehöre zu den Staaten, die sich den Befreiungsbewegungen der Völker widersetzen. Es folgt sofort eine scharfe Gegenerklärung: Die Christenheit muss bezeugen, dass Gottes Teue auch über dem Volk Israel in Kraft geblieben ist. Auch das israelische Volk im säkularen Staat steht unter dieser Verheissung und kann darum mit anderen Völkern nicht ohne weiteres auf eine Stufe gestellt werden. Christliche Erkenntnis, die nicht von Gottes Bund mit Israel ausgeht, wird den Aussagen der Bibel und den politischen Realitäten nicht gerecht und droht dem Antisemitismus zu verfallen. Wie Deutschland die Oder-Neisse-Grenze anerkennen müsse, müssten die arabischen Staaten das von der UNO 1947 gegründete Israel endlich anerkennen.

!967 tagt in Bristol eine Kommission des ÖRK, die die zentralen Fragen aufwirft, welche Implikationen biblische Auslegungen auf christliche Haltungen in Bezug auf die Situation im Nahen Osten haben: Wenn man, auf der Grundlage von Gottes Verheissungen im Alten Testament bejaht, dass die Juden ein Recht darauf haben, in dem Land zu leben, schliesst das ein, dass sie auch ein Recht auf ihren eigenen Staat haben?...Wenn ja, würde das bedeuten, dass Christen den Staat Israel aus theologischen Gründen unterstützen sollten? Auf diese Fragen wurden drei verschiedene Antworten – je nach Kontext - gegeben: (a) Die arabischen Christen betonten, dass in Christen alle Verheissungen erfüllt seien. (b) Die Orthodoxen warnten vor jeder Theokratie, die sie in Israel entstehen sahen. (c) Die Vertreter der afrikanischen und asiatischen Staaten zeigten auf die ihnen viel wichtigere Problematik der Gerechtigkeit und des Rechtes für die Armen und Unterdrückten, die millionenfach sterben. In dem Abschlusspapier wird zum ersten mal in einem ökumenischen Text von Zeichen der Treue Gottes gesprochen, und zwar im Blick auf das jüdische Volk und seine Erhaltung durch die Jahrhunderte.

Als die UNO am 10. November (sic!) 1975 mit einer Mehrheit kommunistischer, lateinamerikanischer und arabischer Diktaturen beschloss, Zionismus ist Rassismus, widersprach der Generalsekretär des ÖRK, Philip Potter: Der Zionismus ist geschichtlich eine Bewegung zur Befreiung des jüdischen Volkes von Unterdrückung, einschliesslich rassischer Unterdrückung.

Kurz vorher hatte der ÖRK zu einer Konferenz westlicher, orthodoxer und arabischer Christen nach Cartigny (CH) eingeladen. Man äussert sich nicht zu Volk, Land oder Staat Israel. Diese theologischen Begriffe haben alle eine politische Dimension, über deren Gewicht und Folgen besteht Uneinigkeit. Der Minimalkonsens heisst: Israel und die arabischen Staaten sollten in Frieden sowie in sicheren und anerkannten Grenzen leben, dem palästinensischen Volk solle Selbstbestimmung gewährt werden. 1988 wird für den Exekutiv-Ausschuss des ÖRK folgende Übereinstimmung festgehalten: Der Bund Gottes mit dem jüdischen Volk besteht, seine bleibende Berufung und Gottes Verheissungen sind ihm von Gott als Zeichen der Treue Gottes gegeben. Christen sind Gott dankbar für den spirituellen Reichtum, den sie mit dem jüdischen Volk teilen. Jede Form von Antisemitismus muss überwunden werden. Proselytismus und die Benutzung des Glaubens sind mit dem Geist Christi unvereinbar. Juden und Christen haben eine gemeinsame Verantwortung für als zeugen in der Welt für Gottes Gerechtigkeit und Frieden. Sie arbeiten als Gottes Partner für Gerechtigkeit, Frieden und Integrität der Schöpfung.
Während der Vatikan als Staat erst 1993 den Staat Israel anerkennt, verlangt die französische Bischofskonferenz schon 1973, es sei die jüdische Existenz und nicht nur Gedanken über das jüdische Volk, die es zum rigorosen und anspruchsvollen Partner in Konfrontation mit dem Christentum machen. Der Diaspora-Existenz wird ein positiver Sinn zugeschrieben: Sie führt dazu, den göttlichen Namen unter den Nationen zu heiligen. Deswegen könne das Weltgewissen  dem jüdischen Volk …nicht das Recht und die Mittel auf eine politische Existenz unter den Völkern versagen.

Ein Seitenblick auf die Befreiungstheologie muss festhalten, dass auf der einen Seite zwar das Tun der Gebote, die Nachfolge Jesu, eine Orthopraxie nicht zu einer Toraverachtung führen. Jesus lebt als Mensch in mit und unter dem Elend der Armen, kritisch wird jede „hohen Christologie“ wie auch eine Ekklesiologie, die die Kirche als Mater et Magistra oder als Heilsmittlerin vorstellt. Das Volk Gottes sind die Armen, so die Denkfigur seit Vaticanum II. Es fällt auf, dass die Hoffnung der Armen – die zu betonen jede Theologie bei Strafe der Selbstaufgabe verpflichtet ist – aber nicht abgelöst werden kann von ihrer Begründung in Israels Messiashoffnung und in Israels Hoffnung auf die messianische Vollendung der Welt. Diese Herkunft und Zukunft mit Israel darf den ersten Adressaten der Zuwendung Gottes zur Welt nicht vergessen. „Die Juden von heute sind eben die Juden von heute“ und nicht zu ersetzen in einer Israelvergessenheit durch die Armen, die Türken, die Homosexuellen, die Landlosen, die Armen etc pp. Hier wird die Wurzel des Ölbaums vergessen, ohne die noch so schöne Zweige christlicher Befreiungstheologie auch verdorren.

 

Christliche Zionisten fundamentalistischer Prägung argumentieren in den Kategorien eines historischen Beweises, um nicht zu sagen eines historischen Materialismus. Die erneuerte Besiedlung und Bebauung des Landes ab dem 19. Jahrhundert sowie die Errichtung eines jüdischen Staates 1948 werden als Beweis dafür gesehen, dass Gottes Wort wortwörtlich zuverlässig ist. Der verbalinspirierten Verheissung folgt die historisch bestätigende und nachweisbare Erfüllung. Methodisch wird hier mit einem biblischen Text genau so umgegangen. wie es eine dominante christliche Exegese mit den Texten von der Zerstörung Jerusalems tut (Luk 19, 41-48 oder 2Kö 25,8-12). Titus wie Nebukadnezar führen nur den beweis, dass auf Gottes Vorhersage Verlass ist. Es spricht nicht die Bibel die Stimme ihrer ei8genen Wahrheit. Die politische Deutung des Kalten Krieges zwischen Ost und west oder jetzt zwischen Westen und Terrorismus beglaubigen die Wahrheit der Bibel. Sach 12, 1-10 geht in Erfüllung, dass alle Völker der Erde sich feindlich gegen Jerusalem versammeln. Der Beweis, dass Hesekiel (Kap 37 und 38) Recht hat, wird mit der Heimkehr der Stämme Israels ins Land de Väter geführt. Gott wird die Völker allein an ihrem Verhalten zum Staat Israel messen. Die Israel-Tatsachen, die über die modernen Medien tagtäglich in alle Welt ausgestrahlt werden, erlauben keine Unwissenheit als Entschuldigung. Was man früher glauben musste, kann man nun als Tatsache anfassen und sehen.

Das jüdische Volk ist damit in der Lehre der Kirchen theologisch qualifiziert, wie es sonst kein Volk der Erde ist. Gott hat eben nicht das russische, amerikanische, chinesische oder deutsche Volk auserwählt, sondern das jüdische, Israel eben. Und das nicht wegen seiner Stärken oder Leistungen, sondern sola gratia, weil „der Ewige euch liebte, weil er den Eid hielt, den er euren Vorfahren geschworen hatte und darum befreite er euch…aus der Sklaverei“ (Dt 7,ff). Diese Qualifikation geht aber nicht auf Kosten anderer Völker wie die Kirchen ihre Selbstverständnisse auf Kosten Israels entfalteten. Im Gegenteil: In der jüdischen Tradition haben die Völker als Empfänger und Täter der noachidischen Gebote Teil an der Kenntnis von Gottes gutem Willen und seiner orientierenden Weisung. Diese sind gut für das Leben, Zusammenleben und Überleben der Menschen in Menschlichkeit. Die ChristInnen aus den Völkern sind nur durch den Juden Jesus von Nazaret auf den Weg Gottes von der Schöpfung zur erlösenden Vollendung gemeinsam mit Israel gekommen.

Die Landverheissung allerdings steht in einem unauflöslichen Zusammenhang mit der Befreiung aus der Sklaverei unter Pharao und mit einer Forderung der göttlichen Gerechtigkeit, der die ganze Erde gehört. Das befreite Ex-Sklavenvolk soll einen Anteil wie alle Völker an der Gott gehörenden Erde haben. Es ist ja nicht nur aus Zwangsarbeit befreit worden sondern auch der Landlosigkeit. Es soll ein land wie alle anderen bekommen. Ihr hilft Gottes Gerechtigkeit durch eine Zuteilung von Erez Jisrael ab. Wie allen Völkern steht auch Gottes Volk ein Anteil an der Erde zu, die Gott gehört (Ps 24,1 und 1Kor 10,26). Gottes Gerechtigkeit setzt Gerechtigkeit unter den Menschen frei. Aber neben der Gerechtigkeit Gottes allen seinen Geschöpfen gegenüber kommt eine andere biblische Grundgegebenheit ins Spiel. Es ist die Irdischkeit und Materialität der göttlichen Freundlichkeit und Gnade – und seiner Gebote. Nicht im Himmel, nicht jenseits des Meeres ist Gottes Wort (Dtn 30,11-14). Dieses Wort von der Gegenwart Gottes in seinem Wort und Handeln auf der Erde wird in Joh 3,13 und Röm 10, 5-13 auf den gegenwärtigen Christus bezogen, ohne es Israel wegzunehmen. Denn jeder, der den Namen von Adonaj anruft, wird gerettet, so wird Joel 3,5 von Paulus im Israelkapitel seines Römerbriefes auf die die Völker und ihre Wallfahrt zum Zion ausgeweitet, ohne Israel etwas wegzunehmen. Eine Spiritualisierung blendet diese Verortung auf der Erde zu leicht aus. Typisch scheint mir eine Grundeinstellung zu sein, die sich so ausdrücken kann: Die neutestamentliche Soteria bezieht sich nicht auf irdische Verhältnisse. Ihr Inhalt ist weder, wie für griechisches Verständnis, Wohlergehen, Gesundheit Leibes und der Seele, noch eine irdische Befreiung vom heidnischen Joch wie im Judentum. Sie bezieht sich überhaupt nicht auf irgendwelche Zustände an sich,…Sie hat es nur mit dem Verhältnis des Menschen zu Gott zu tun. Diese Erklärung steht im striktem Gegensatz zu Georg Fohrers alttestamentlichen Artikel zu jscha, das eine breite Bedeutungspalette von göttlicher und menschlicher, konkreter Rettung hier und jetzt bis zur endzeitlichen Erlösung umfasst.
Dietrich Bonhoeffer erinnert bei der vertieften Lektüre des AT im Gefängnis daran, dass es sich beim Exodus wie bei der christlichen Auferstehungshoffnung um geschichtliche Erlösungen handelt, dh diesseits der Todesgrenze…Israel wird aus Ägypten erlöst, damit es als Volk Gottes auf Erden vor Gott leben kann,

In der EKD-Studie I von 1975 heisst es: Der heutige Staat Israel ist eine politische Grösse; er stellt sich aber zugleich in den Rahmen der Geschichte des erwählten Volkes…Organisiert ister als moderner Staat und als parlamentarische Demokratie…Die Studie erinnert daran, dass auch im Altertum Israels Staatenbildungen in den Formen ihrer Zeit stattfinden. Die Staatsform ist also variabel, hat wie der Staat keine theologische Qualität. Er hat eine ethisch unaufgbbare Funktion Schutzkeine
Staatsform variabel

II
Beobachtungen
Seit der Deportation grosser Teile des Volkes Israel ins babylonische Exil lebt das Volk Israel zu allen Zeiten seiner Existenz in zwei Brennpunkten, im Land Israel und in der Diaspora. Die Ellipse ist zum Bild für diese Realität geworden. Zu keiner Zeit war das Kernland um Jerusalem „judenrein“, um einen Slogan der Nationalsozialisten zu benutzen. Damit beschrieben sie nicht nur ihren Plan für Deutschland, sondern auch den für die Welt und ihre Neuordnung. Die Römer versuchten es, wollten es „entjuden“, nannten Judäa Palästina, Jerualem Aelia Capitolina. Die Kreuzfahrer schafften es ebensowenig wie die Armeen Hitlerdeutschlands, die über Nordafrika und den Balkan das Land Israel zu besetzen suchten.

An diese geschichtlichen Tatsachen zu erinnern Dabei ist wichtig, dass dass es eine Asymmetrie in der Bedeutung der Diaspora und des Jischuv gab und gibt: Betete man in der Fremde an jedem Pessach „Nächstes Jahr in Jerusalem!“ so stand und steht für die immer im Lande Israel wohnenden Juden im Vordergrund: Nur hier die Tora zu erfüllen. grösser gewesen als der In erez Jisarel wohnende Teil.

Erinnerungen

Die Aufklärung ist ein Projekt der Religionen und nicht des später auftretenden Atheismus. Dafür stehen die jüdische Haskala wie in Westeuropa die christliche Aufklärung. Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) veröffentlicht 1777, sieben Jahre vor Kants Schrift „Was ist Aufklärung?“, die „Fragmente eines Ungenannten“, eine „Apolologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes“. Diese theologische Streitschrift des Hamburger Orientalisten Hermann Samuel Reimarus wird anonym veröffentlicht – aus Angst vor der christlichen Orthodoxie. Diese schlägt auch in Gestalt des Hamburger Hauptpastors Johann Melchior Goeze massiv zurück. Reimarus plädiert für den Vorrang der natürlichen Vernunft vor der Offenbarung. Die Vernunft sei Grundlage und Massstab jeder Religion sowie ihrer Inhalte. Reimarus gehört an den Beginn einer historisch-kritischen Arbeit an der Bibel.
Lessing übernimmt von Reimarus nicht die eindimensionale Funktion der Vernunft. Gewiss, auch er ermutigt zur kritischen Auseinandersetzung mit der biblischen Offenbarung, aber er möchte einen aufgeklärten frommen Menschen. Mit Kant und Bonhoeffer gesprochen sucht er einen „mündigen Glauben“, der den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ riskiert. Der „Wahlspruch der Aufklärung ist „Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
Verbalinspiration, Staatsreligion und lieb gewordene Traditionen bilden die Trias, die Unmündigkeiten produziert und den Mut bremst, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Der „garstige, breite Graben“ von heute zur historischen Überlieferung ist weder durch dogmatische Sätze noch durch Glaubenswächter zu überbrücken. Sie machen unmündig. Dem, der sich von Autoritäten abhängig macht, der Angst vor Kritik und Aufklärung und um seine Religion hat, ihm schreibt Lessing ins Stammbuch: „Er mag es mit seiner Religion herzlich gut meinen, nur müsste er ihr mehr zutrauen!“ Für Lessing steht nicht die Vernunft gegen den Glauben. Diesem traut er mehr zu als die ängstlichen Verteidiger von orthodox fundamentierten Glaubenswahrheiten.
Aber er schreibt in seinem Nachwort „Zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden….“. Ist dann die Berufung des jüdischen Volkes oder die Beauftragung Jesu zum Gesalbten Gottes eine „zufällige Geschichtswahrheit“, die nie die Würde erreicht, eine „notwendige Vernunftwahrheit“ zu sein? Für Lessing sagen die Wahrheiten der Religion letztlich nichts anderes als was die Vernunft auch sagt. Es ist die natürliche Religion, die in den positiven Religionen sozusagen populistisch erscheint. Lessing aber leugnet weder Wunder noch erfüllte Weissagungen. Nur enthalten sie „heute“ keine Beweiskraft für die Religion, die sich auch vor der Vernunft behaupten muss. Also
Die biblischen Offenbarungen mitsamt den Wundern und erfüllten Verheissungen machen die Menge (aber auch Lessing selbst) auf die Wahrheit der Religion „aufmerksam“, dh sie „helfen dem gesunden Menschenverstand auf die Spur.“ Lessing kümmert es nicht, ob die Überlieferung, ob die „Sage falsch oder wahr ist: Die Früchte sind trefflich!“ (Der Beweis des Geistes und der Kraft“ 1777). Der biblische Grundgedanke, dass die Wahrheit eine Wahrheit ist, die zu tun, die Tat ist (Ex 19,8; 24,3; Mt 7,21ff; Joh 3,21; dass es auf ihre Früchte ankommt (Joh 3, 21; Mt 3,10; 7,10ff), das wird Lessing in „Nathan der Weise“ mit dem berühmten, von Bocaccio übernommenen Gleichnis von den drei Ringen (III,7) erläutern. Gleich lieb hat der Vater seine Söhne Judentum, Christentum und Islam. Keiner weiss, wer den allein echten Ring der Wahrheit hat, weil Gott allen dreien einen völlig gleichartigen Ring machen liess. Also verlagert Lessing die Wahrheitsfrage auf die Ebene der Praxis und in die Zukunft, in der Gott die Wahrheit enthüllen wird:
                „Wohlan!
                Es eifre jeder seiner unbestochenen,
                Von Vorurteilen freien Liebe nach!
                Es strebe von euch jeder um die Wette,
                Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag
                Zu legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmut,
                Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
                Mit innigste Ergebenheit zu Gott
                Zu Hilf!“
Der wahre Ring ging nicht verloren. Nur zwischen den Bibel-Nachkommen Judentum, Christentum und Islam geht es nicht darum, Recht zu haben oder zu behaupten, sondern Recht zu tun. Ein nur verbaler oder nur intellektueller Streit um den rechten Ring, nicht aber die Existenz des echten Rings wird abgelehnt. Es ist Gott, der „über tausend, tausend Jahre“ sein gewiss überraschendes Recht sprechen wird. In diesem Zusammenhang ist ein anderer Gedanke Lessings wichtig. Der „Beweis des Geistes und der Kraft“ gelingt nicht im Rückgriff auf die Geschichte, sondern im Mut zur vernünftigen Innovation der Gebote im Heute und in der „innigsten Ergebenheit zu Gott“, dh in der Emuna, im messianischen Glauben, dass er die Geschichte der Menschen vollendet.
Saladin sagt zu Nathan:
„Ein Mann wie du bleibt da
Nicht stehen, wo der der Zufall der Geburt
ihn hingeworfen: oder wenn er bleibt,
Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern.“ (Nathan III,5)
Aus dem reformatorischen Satz „Ecclesia semper reformanda“ folgt: Mit allen intellektuellen Möglichkeiten ist in jeder Epoche und Situation an einer „Theologia semper reformanda!“zu arbeiten. Wer zu jener letzten Rechtsprechung Gottes unterwegs ist, hofft auf sein messianisches Reich auch dergestalt, dass die Welt voller „Erkenntnis Gottes“ wird „wie von Wasser, das das Meer füllt“ (Jes 11,9). Diese Erkenntnis am Ende der Geschichte, stiftet eine Hoffnung, die jetzt schon tut, was gehofft wird: Dass das Böse seine Macht verliert.

Nach der theologischen Qualität von Am Jisrael, Erez Jisrael und Medinat Jisrael zu fragen heisst auch zu fragen: Können diese „zufälligen Geschichtswahrheiten“ auch ein „Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten“ sein? Aus der Perspektive der Vernunft ist Tatsache, dass Israel und nicht die USA, China oder Deutschland, sondern das jüdische Volk von Gott zu seinem Zeugen berufen ist, eine „zufällige“ Wirklichkeit, kein Beweis einer „notwendigen Vernunftwahrheit“. Eine solche Vernunftwahrheit wird  in den Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts vertreten. Sie verlangt, dass sie sich durch empirische Experimente an jedem Ort und in jeder Kultur verifizieren oder falsifizieren lässt. Und dass unabhängig davon, ob ich an dem Gott Israels vertraue oder nicht. Empirisch belegbar ist das was an „Bösem“ in der Welt ist, in der persönlichen und in der politischen Geschichte. Zu den menschlichen Kapazitäten gehört das Abschieben von Verantwortung. Adam und Eva zeigen, dass wie Kain und Abel die zerstörerische Inhumanität vorführen. Die Geschichte von der Sintflut belegt, dass der Mensch die Schöpfung zerstören kann und die Geschichte vom Turmbau zu Babel, dass menschliche Hybris die Fähigkeit zerstört, sich zu verstehen.

Die Gegengeschichte Gottes zerstört seine eigene Schöpfung nicht, sondern eröffnet seinen Ebenbildern neue Chancen, obwohl das Paradies verloren ging. Adam und Eva beginnen ein neues, hartes Leben. Der Feind seines Mitmenschen Kain erfährt Gottes Feindesliebe als Schutz. Der Segen über Noah enthält neue Regeln des menschlichen Zusammenlebens für die Völker. Und nach dem Turmbau ist nicht das Ende der Menschheit gekommen, sondern ihre Weiterexistenz.

Und doch gilt von allem, was Gott geschaffen hat: Die Welt ist sehr gut. Aus der Diskrepanz zwischen den Taten Gottes und den Untaten der Menschen erwächst Gottes Willen, seinem Konzept von Weltgestaltung treu zu bleiben.

Den exemplarisch beschriebenen Bosheiten der Menschen folgt Gottes Neuanfang durch die Berufung Abrahams und seiner Nachkommen bis heute, also Israel. Die Fraglichkeit des menschlichen Lebens sucht Antwort. Gott gibt sie. Die Rede von der Schöpfung und ihrer Rettung durch Gottes Handeln und Wort ist ein „in sich selbst gegründeter Grund“ (J. Moltmann, Perspektiven der Theologie S. 15). Er kann weder bewiesen noch widerlegt werden. Es ist eine „zufällige Geschichtswahrheit“, die deswegen nicht folgenlos bleibt. Sie stiftete eine Gemeinschaft, Israel und aus ihm heraus die Kirche. Beide sind Träger der biblischen Hoffnung und damit Träger seines Rufes: Die Welt wird und soll nicht so bleiben wie sie empirisch erfahrbar ist. Es gibt Hoffnung und damit eine Weisung in die Zukunft des Menschen und seiner Welt. Hoffnung und Tora gehen zusammen, zu einer „restitutio ad integrum“, zu „tikkun olam“.

Viele Erklärungen vieler Kirchen haben nach der Schoa versucht, die Theologie in ihrem Verhältnis zu Israel zu reformieren und zu neuen Erkenntnissen und Einsichten vorzustossen. Diese verweigert und verleugnet zu haben musste ein Drittel des jüdischen Volkes mit dem Leben und die Kirche mit dem Verlust ihrer Glaubwürdigkeit bezahlen. Mit Lessing gesagt: Wenn wir noch eine Chance haben, Christen bleiben zu könne, dann nur „aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern“.

Wählten wir in den christlichen Erklärungen zu Israel, Land Volk und Staat neue, bessere Einsichten? Wie sprechen wir über Land, Volk und Staat Israel? Haben wir analysiert, warum die in der deutschen Geschichte durch die Freunde Moses Mendelsohn und Gotthold Ephraim Lessing gegebene Möglichkeit, Israel auf Augenhöhe zu respektieren, nicht aufgegriffen wurde? Warum wir stattdessen den Weg der christlichen Weg der Judenverachtung fortsetzten? Warum wir diesen Weg ausbauen liessen durch Rassismus und Gewalt – fast ohne zu widersprechen? Welche christlichen und nichtchristlichen Autoritäten haben uns unmündig gemacht und gehalten? Warum verlor die Rechtfertigung allein aus Gottes Gnade seinen Tatcharakter, seine Verwirklichung durch ein christliches und kirchliches Eintreten für Recht und Gerechtigkeit. Zu beiden biblischen Hauptworten gehört der unbedingte Respekt vor der Würde dessen, der anders lebt, betet, zweifelt oder singt als wir. Im Verhältnis zu Israel, durch das wir Gott und seinen Messias, seine Geschichte und unsere Geschichte kennen lernten haben wir die Gottebenbildlichkeit, die Urmutter aller Menschenrechte, verraten.

Vernunftwahrheiten: „Verifizierbar oder falsifizierbar (Popper)

Vernunftwahrheiten
Was aber, wenn empirisch messbare und beweisbare Naturphänomene „als notwendige Vernunftwahrheiten“ ausgegeben werden? Ich wähle das Beispiel des Sozialdarwinismus. Darwin hat, wie viele seiner Nachfolger eine Anzahl von wissenschaftlich - biologisch verifizierbaren Beobachtungen zur „Entstehung der Arten“ vorgelegt. Friedrich Nietzsche auf der einen Seite und Rassisten von Graf Gobineau bis Houston Stewart Chamberlain auf der anderen Seite machen aus der Beobachtung vom „Survival of the Fittest“ eine Gesellschaftstheorie, die mit dem Anspruch auftritt, ein wissenschaftlich verifiziertes Konzept zur Gestaltung der Gesellschaft zu sein. Ein sich wissenschaftlich verstehender Marxismus nimmt Mass am naturwissenschaftlichen Denken des 19. Jahrhunderts und verleiht sich selbst die Würde beweisbar und unwiderlegbar zu sein. Die ökonomische Globalisierung lässt sich nicht leugnen, aber sie zum Naturgesetz zu erheben, macht aus ihren Opfern (wie der Sozialdarwinismus und wie der Marxismus!) notwendige Opfer.

Zeichen
Ist das Subjekt des Zeichens eine göttliche Person, bedarf das Zeichen der Erklärung, seine Bedeutung ist nicht ohne weiteres eindeutig (Hebr: Ot oder Mophet, ca 120 Mal in LXX). Ein klassisches Beispiel ist der Regenbogen, den Gott Im Noah – Bund als Zeichen seiner Treue in die Wolken stellt (Gen 9,12ff). Wer ihn sieht, muss nicht das Zeichen der Treue Gottes sehen, kann es aber. Man kann es übersehen, es auch ästhetisch oder physikalisch verstehen. Jene aus Israel oder aus den Völkern, die Gottes Treue und Segen wahrnehmen, erinnern sich, dass es ein Zeichen ist, dass Gott sich an seinen Bund und an seine Treue gegenüber allen Lebewesen erinnern will. Die Beschneidung (Gen 17,10ff) oder das rettende Blut an den Türpfosten (Ex12,7ff) sind ebensolche Zeichen, die im Bekenntnis zu dem sie setzenden Gott eine deutliche Vergewisserung vermitteln. Weder eine magische noch eine dauerhafte Qualität kommt den Zeichen zu, aber sie können als Bekenntnisse Erkenntnis vermitteln. Nu 14, 11 wundert sich Gott, dass sein Volk ihm nicht vertraut, seine Zeichen verkennt. Zeichen sind nie Offenbarung. Das Zeichen ist nie Selbstzweck, sondern immer Mittel zum Zwecke der Erkenntnis von göttlichem Handeln, bei Pharao auch zu dem der göttlichen Verstockung (Ex 8,18). Es kann das Gegenteil von dem bewirken, wozu es gemeint war. Israels Credo in Dtn 26,5-8, in die Pessach-Liturgie aufgenommen, spricht von Zeichen und Wundern (V. 8). Wie die prophetischen Zeichen haben sie als Voraussetzung, dass Israel Gottes Volk ist. Als sprechende Zeichenhandlung bedürfen auch sie der Deutung. Das Wort Zeichen hat für sich formalen Charakter.

Im NT wird deutlich, dass Gott oder Menschen „Zeichen“ tun können. Die Krippe in Bethlehem wird zum Erkennungszeichen des Kindes wie der Judaskuss (Mt 26,48). Das Zeichen des Jona (Mt12,41 par) erinnert an den göttlichen Auftrag zur Umkehrpredigt wie an die Unangemessenheit, von Gott Zeichen zu fordern. Im Blick auf das Kommendes Menschensohnes werden Zeichen eine letzte Möglichkeit zur Umkehr anzeigen, was Mt (24, 30) mit einer Mischung aus den Propheten Sach (12,12 u. 14) mit Da (7,13f) biblisch verankert und zukunftsfähig macht. Die messianischen Zeichen und Wunder, mit denen die Apostel nach der Apostelgeschichte die Arbeit Jesu fortsetzen, überzeugen viele, aber keineswegs alle. Joh beschränkt die Zeichen (und, oft damit verbunden, Taten) Jesu auf die Person und Vollmacht Jesu, er, nicht die Zeichen ist die Offenbarung Gottes. Ohne ihn sind sie nichts. Treffen die Verkündigungen Jesu alle, so seine Zeichen (Speisung, Heilung, Totenauferweckung) keineswegs alle. Zeichen und Wunder kann auch der falsche Messias tun (das 2. Tier Apok 13,14; der falsche Prophet 19,20).

Das Fazit heisst für mich: Von Israel als Zeichen der Treue Gottes zu sprechen, darf nicht übersehen, dass ohne den Offenbarer Gott oder seinen Gesalbten die Zeichen und Wunder zur theologischen Beurteilung von Volk, Land und Staat Israel vieldeutig oder missverständlich sein können. Sie haben ihr relatives Recht als Wegweiser, die über sich hinaus weisen auf Person, Wort und Handeln Gottes.

 

Berlin 11. / 12. September 2008


Während der ganze Urtext der Hebräischen Bibel Gründungsurkunde der Christlichen Bibel wird, erzählt der Koran eine Reihe biblischer Geschichten (auch talmudischer Sentenzen) - in der positiven Absicht, sich biblisch zu verankern, die biblischen Personen zu Vorbildern des Islam, der Hingabe an Gott zu machen. Allerdings um den Preis, dass sie alle zu vorlaufenden und vorhersagenden „Propheten“ von Mohammed werden und ihre eigenen, so vielfältigen und auch widersprüchlichen Stimmen und Rollen verlieren.

Hans Ehrenberg, Die Paradoxien des Evangelium, ThExh 58, München 1957, S. 15.

Franz Rosenzweig in einen Brief an seinen christlichen Vetter Eugen Rosenstock-Huessy vom 7.-9. Nov. 1916.

Zitiert aus: Hans-Walter Krumwiede, Martin Greschat u.a. (Hg), Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd IV,2 Neuzeit., Neukirchen 1980, S. 118.

AaO S. 113.

Hendrik Berkhof, Kirche und Kaiser. Eine Untersuchung zur Entstehung der byzantinischen und der theokratischen Staatsauffassung im vierten Jahrhundert. Zollikon-Zürich 1947, S.60; Michel Clévenot, Die Christen und die Staatsmacht, Ge,schichte des Christentums im II. und III. Jahrhundert, Freiburg/Schweiz 1988, S. 192.

Dietrich Bonhoeffer, Sanctorum Communio, DBW Bd. 1, München 1988, S. 137.

Friedrich Wilhelm Marquardt, Von Elend und Heimsuchung der Theologie. Prolegomena zur Dogmatik, München 1988, S. 166.

KD II,1, S. 288 und 291.

Ich folge hier und öfter der vorzüglichen Untersuchung von Heinz-Martin Döpp, Die Deutung der Zerstörung Jerusalems und des Zweiten Tempels im Jahre 70 in den ersten Jahrhunderten nach Christus, Tübingen und Basel 1998, S. 262ff.

  Adversus Judaeos, zitiert nach Heinz Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (1.-11-Jh). Frankfurt am Main und Bern 1982, S. 223.

Schreckenberg S. 323.

Schreckenberg S. 527.

Adolf Harnack (Lehrbuch der Dogmengeschichte, Freiburg 1988, Bd. 1) sieht in den Anfängen der Christenheit aus der „jüdischen Kirche“, die „national“ begrenzt bleibt, eine „universale“ Kirche entstehen: „von Christus begründet, durch den ‚Geist’ vermittelte Verbindung mit Gott, eine Gemeinschaft, deren wesentliches Merkmal es ist, dass sie das AT und den Gedanken, Volk Gottes zu sein, für sich in Beschlag nimmt.“ Aus dem jüdischen Erbe erwächst allerdings ein Dilemma: „Aus der positiven Stellung Jesu zu der jüdischen Überlieferung ergab sich freilich…die Aufforderung, eine Theorie der Offenbarungsvermittlung zu ersinnen…Diese Theorie barg, wie jede Theorie der Religion, die Gefahr in sich, die Kraft des Glaubens zu lähmen; denn die menschen finden sich gern durch eine religiöse Theorie mit der Religion selbst ab. (S. 40f).

Johann Amos Comenius, Vermächtnis der sterbenden Mutter, der Brüderunität, Neukirchen 1958, S.94f.

Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge, München 1952, S. 1f.

David Flusser, Bemerkungen eines Juden zur christlichen Theologie des Judentums. In: David Flusser, Entdeckungen im Neuen Testament, Bd. 1, Jesusworte und ihre Überlieferung. Neukirchen 1987, S. 6 u. 9.

Bertold Klappert stellt wesentliche Texte zur Verbundenheit von Israels Erwählung mit dem Land zusammen in: B. Klappert und H. Starck (Hg), Umkehr und Erneuerung. Erläuterungen zum Synodalbeschluss der Rheinischen Landessynode 1980, Neukirchen 1980, S. 73-88).

Prof. Dr. von Hauff, Antisemitismus im Alten Testament. Stuttgart 1923 S. 5 und 63.

  Kardinal Faulhaber, Judentum, Christentum, Germanentum. Adventspredigten gehalten in St. Michael, München 1933, S. 10.

Die einschlägigen Predigten zum 10. Sonntag nach Trinitatis sind ausführlich in ihren Kontexten anasysiert worden von: Evelina Volkmann, Vom „Judensonntag“ zum „Israelsonntag“. Predigtarbeit im Horizont des christlich-jüdischen Gesprächs. Stuttgart 2002. Und: Irene Mildenberger, Der Israelsonntag. Gedenktag der Zerstörung Jerusalems. Berlin 2004.

Hans Asmussen, das Kirchenjahr, München 1936, S. 98.

Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, II,2, Zollikon-Zürich 1948, S. 229f. Martin Noth schliesst seine „Geschichte Israels“ (Göttingen 1954, S. 406) mit dem unhistorischen, ideologischen Postulat vom finis populi Die im Jahr 35, der Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstandes: Damit endete das schauerliche Nachspiel der Geschichte Israels.

KD II,2, S. 249.

Michael Wyschogrod, Gott und Volk Israel. Dimensionen jüdischen Glaubens. Stuttgart 2001, 186f.

Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, Heidelberg 1954, III,3, 199.

Die Auseinadersetzung in: Dokumentation S. 346ff.

Dokumente S. 356.

Dokumentation S. 382f.

Dokumentation S. 379.

Dokumentation S. 149ff.

Vgl Martin Stöhr, Messianische Denken in der Dritten-Welt-Theologie, In: Ekkehard Stegemann Hg), Messias-Vorstellungen bei Juden und Christen. Stuttgart 1993, S. 146-168.

Ludwig Schneider (Hg), Israel-Jahrbuch 1996, 3000 Jahre Jerusalem. Jerusalem 1996. S. 185.

So Werner Foerster in seinem Artikel sozo und soteria in ThWBNT Bd 7. S. 1003f.

Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW Bd. 8, S. 500.

Vgl u.a. den einschlägigen Artikel in ThWNt Bd 7, Stuttgart 1964, (semeion von Karl Heinrich Rengstorf

 

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