Staatsgründung Israels und Al-Naqba – wider eine falsche Mythenbildung in der (Offenen) Kirche
von Michael Volkmann

Mit Interesse las ich den Beitrag des Kollegen Karl Schmidt über „Zochrot“ in OK-Anstöße 2/Juli 2008. Seit dem israelischen Historikerstreit in den achtziger Jahren nimmt die Auseinandersetzung der Israelis mit den Ereignissen, die die Palästinenser „Al-Naqba“ nennen, zu, und das ist ein gutes Zeichen für die innere Verfassung der israelischen Gesellschaft. Heute gilt einer jener damals noch sehr umstrittenen „neuen Historiker“, Tom Segev, als der renommierteste Historiker Israels – ganz im Gegensatz übrigens zu dem von Kollege Schmidt zitierten Ilan Pappe, dessen These einer planmäßigen ethnischen Säuberung Palästinas bei Nahostexperten international auf entschiedenen Widerspruch stößt.

Ich beziehe mich vor allem auf die beiden programmatischen Sätze Karl Schmidts, die ähnlich schon anderswo zu lesen waren und die nicht unwidersprochen stehen bleiben können: „Die Gründung des Staates Israel war allerdings für die Palästinenser und die arabischen Staaten eine ‚Katastrophe’, die Nakba. Denn sie führte zur Vertreibung von Palästinensern und zur Vernichtung hunderter ihrer Dörfer.“ In diesen Aussagen, die in diesem 60. Gedenkjahr oftmals - sei es gedankenlos, sei es vorsätzlich - übernommen und weiter getragen werden, werden die historischen Abläufe bis zur Unwahrheit verkürzt.

Diese Sätze unterschlagen zuallererst, dass die Gründung des Staates Israel auf der Basis völkerrechtlich gültiger Beschlüsse erfolgte: der britischen Balfour-Erklärung (1917), des Palästina-Mandats des Völkerbunds (1922), in dem der Völkerbund die britische Mandatsmacht ausdrücklich zur Verwirklichung der in der Balfour-Erklärung gemachten Zusagen auffordert, und der UNO-Resolution 181 zur Teilung Palästinas (1947).

Sie verschweigen zugleich, dass die arabischen Staaten ihre Abstimmungsniederlage am 29.11.1947 in der UNO nicht akzeptierten, sondern dass sie dem jüdischen Staat die Vernichtung androhten und mit militärischer Gewalt gegen ihn vorgingen. Sie sagen nichts darüber aus, dass laut UNO-Resolution 181 „der Sicherheitsrat jeden Versuch einer gewaltsamen Änderung der in dieser Resolution vorgesehenen Regelung als eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung, gemäß Artikel 39 der Charta, betrachtet“.

Natürlich übergehen sie auch den Versuch der Nazis und ihrer arabischen Verbündeten, allen voran Mufti Hadsch Amin el-Husseini, den Holocaust 1942 nach Palästina zu bringen, der nur fünfhundert Kilometer vor Jerusalem bei El-Alamein von den Briten vereitelt wurde.

Die bis zur Lüge verkürzte Behauptung, die Staatsgründung Israels habe zur Naqba geführt, ignoriert den vielfach dokumentierten arabischen Vernichtungswillen gegen die Juden Palästinas und die Versuche, diesen Willen noch während und kurz nach der Schoa in die Tat umzusetzen. Wenige Stunden nach dem UNO-Teilungsbeschluss griffen Araber in Palästina Juden an, Monate lang reagierten die jüdischen Verteidigungstruppen zurückhaltend, erst im April 1948 wurden sie offensiv. Die Auseinandersetzungen weiteten sich zum Bürgerkrieg aus, in den noch vor dem Abzug der Briten und vor der Staatsgründung Israels ägyptische Muslimbrüder, irakische Truppen und die ungehindert aus Jordanien einmarschierte Kaukji-Armee eingriffen. Bereits in jener Phase wurden Menschen vertrieben und getötet - Juden durch Araber und Araber durch Juden - sowie Ortschaften zerstört, und zwar als Kriegsfolge. Die arabischen Staaten verursachten die Internationalisierung des palästinensischen Bürgerkrieges. Wenige Stunden nach der Unabhängigkeitserklärung Israels griffen sie mit einigen ihrer regulären Armeen den Judenstaat an, um ihn zu vernichten und ganz Palästina unter sich aufzuteilen. Etwa zwei Wochen lang schien ihr Plan aufzugehen, dann gewann Israel unter großen Opfern die Oberhand.

Die Schmidtsche Behauptung erwähnt nicht, dass sogar nach dem so genannten palästinensischen Narrativ neben der israelischen Selbstbehauptung die britische Politik und das kriegerische Eingreifen der arabischen Liga wesentliche Faktoren für das Zustandekommen der Naqba waren – der Anteil eigener Verantwortung der palästinensischen Araber und ihrer Führer an ihrem Desaster wird fast immer stillschweigend „vergessen“.

Natürlich ist in dieser verkürzten Aussage auch kein Platz für das Forschungsergebnis des Postzionisten Tom Segev, dass maximal die Hälfte der entwurzelten Palästinenser vertrieben wurde, die andere Hälfte, rund 360.000 Menschen, flohen aus Angst vor Kämpfen, folgten falschen Versprechungen arabischer Führer oder zogen hinter der als Erste abziehenden arabischen Oberschicht her.

Kein Wort auch davon, dass Jordanien die Westbank annektierte und Ägypten den Gazastreifen zum „Gefängnis“ machte und dass so diese beiden Staaten die Entstehung des von der UNO beschlossenen arabischen Staates in Palästina vereitelten. Auch nichts davon, dass die palästinensischen Führer, die arabischen Staaten und die UNO gemeinsam das palästinensischen Flüchtlingsproblem zementierten, die Absurdität eines erblichen Flüchtlingsstatus schufen und so die Integration und Weiterentwicklung der Palästinenser an ihren Zufluchtsorten über Generationen bis heute blockieren.

Ungesagt bleibt sodann, dass in Israel eine arabische Minderheit von rund 150.000 Menschen verblieb, während die Araber in den von ihnen kontrollierten Gebieten, namentlich im Etzion-Gebiet und in der seit der Kreuzfahrerzeit kontinuierlich von Juden bewohnten Jerusalemer Altstadt, tatsächlich eine gründliche ethnische Säuberung durchführten und den Verbleib keines einzigen Juden duldeten.

Und schließlich schweigen die unhaltbaren Sätze zur Vertreibung, Verdrängung und Evakuierung hunderttausender, vielleicht einer Million, orientalischer Juden aus den arabischen Staaten von Marokko bis an den Persischen Golf in den Monaten und Jahren nach Gründung des Staates Israel. Über die Hälfte der Vertriebenen floh nach Israel, eine Einwanderungswelle, mit der die Gründerväter des Staates nicht gerechnet hatten, die sie aber mit hohem Einsatz integrierten.

Dies alles war mit Gewalt und Unrecht verbunden, auch mit viel Gewalt gegen Juden, im ganzen Orient. Gewalt und Unrecht ausschließlich den Juden anzulasten und die Schuld für Al-Naqba allein den Juden und ihrer völkerrechtlich abgesicherten Staatsgründung zuzuschreiben, wie es Kollege Schmidt in diesen Sätzen tut, ist die Unwahrheit. Nicht die Staatsgründung Israels führte zur Naqba, sondern die gewaltsame Reaktion der Araber auf ihre Niederlage in der UNO, die Ungeheuerlichkeit ihrer militärischen Ziele und ihre katastrophale Niederlage in dem von ihnen selbst zu verantwortenden Krieg.

zur Titelseite

zum Seitenanfang

Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
Robert-Schneider-Str. 13a, 64289 Darmstadt
Tel 06151-423900 Fax 06151-424111 email