Nicht in unserem Land
Beißende israelische Kritik an Mel Gibsons "Leiden Christi"
von Jörg Bremer
Israel tut sich schwer mit dem "Leiden Christi".
Der neue Film von Mel Gibson scheint das Selbstbewußtsein vieler
Juden in Israel zu treffen. Die einen giften, die anderen wollen ihn gar
im Land verbieten lassen. Würdig distanziert erscheint dagegen die
Erklärung des Vorsitzenden der orientalisch-orthodoxen Schas-Partei,
Rabbi Schlomo Benizri: "Natürlich brachten Juden den Joshua
um. Das war eine innerjüdische Affäre. Es handelte sich schließlich
um einen Jeschiwa-Schüler, der das Judentum verriet." Freilich
sei Jesus nicht gekreuzigt worden, der Sanhedrin - damals oberster jüdischer
Gerichtshof - habe ihn vielmehr von einem hohen Dach stoßen lassen.
Erst später habe man die Leiche an einem T-förmigen Holz aufgehängt.
Die christliche Legende der Kreuzigung sei töricht, meinte Benizri
in einem Radiogespräch.
Derweilen fordern andere Politiker der Schas-Partei und
der nationalreligiösen Mafdal-Bewegung, man solle Gibsons Film verbieten.
Obwohl noch kein israelischer Filmverleih Interesse bekundet hat, müsse
man darauf vorbereitet sein. "Das ist die niedrigste Form des Antisemitismus",
findet die Pädagogin Gila Finkelstein, Abgeordnete der Nationalreligiösen
Partei. Sie habe den Film selbst zwar nicht gesehen, verlasse sich aber
auf das Urteil anderer Besucher. "Antisemitismus ist der Welt älteste
Haßbewegung", Israel müsse ihn hier und überall in
der Welt bekämpfen. Avraham Ravitz von der ultraorthodoxen Partei
"Vereinigte Tora und Judaismus" sagt, Israel sei zwar der Platz,
wo der Film den geringsten Schaden anrichten könne, und darum sei
er gegen ein Verbot. Trotzdem solle er nicht gezeigt werden: "Einige
Israelis leiden unter geistiger Schwäche. Wie Masochisten sagen sie,
es sei in Ordnung, daß Nichtjuden uns hassen." Ein anderer
ultraorthodoxer Politiker warnte vor einem Kinobesuch, denn er könne
zur Schwächung des jüdischen Glaubens beitragen.
Die Cinemathek von Jerusalem, ein Programmkino, ließ
unterdessen mitteilen, man dürfe den Israelis diesen Film nicht vorenthalten.
Allerdings wäre eine Vorführung nur im Rahmen einer theologischen
Diskussion denkbar. In "Yediot Ahronot" rechnet ein säkularer
Autor mit der "unheiligen Pornographie" eines "mittelmäßigen
Schauspielers und schlechten Filmregisseurs" ab. Der Film sei nicht
nur antisemitisch, er führe auch durch sein "absolutes Unverständnis
für den historischen Hintergrund vom Ursprung des Christentums und
der Apostelgeschichte" in die Irre. Der Film verwandele das Leiden
Jesu in ein drittklassiges sadomasochistisches Spektakel. Gibson, so schließt
"Yediot Ahronot", sei weder von der katholischen Kirche als
Schiedsrichter aufgerufen worden, noch bringe er Kenntnisse, Autorität
oder geistige Tiefe mit, um zu dieser Frage einen Beitrag leisten zu können.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.02.2004
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