Der Leuchter
Ursprung des jüdischen Nationalsymbols
von Daniel Krochmalnik

Der 7-armige Leuchter (Menora) hat sich um die Zeitwende von den übrigen Tempelgeräten gelöst und ist zum religiösen Symbol des Judentums aufgestiegen, vergleichbar dem Kreuz des Christentums. Nach der genauen Konstruktionsanweisung im 2. Buch Mose (Ex 25,31-39) hatte der Leuchter mit seinem Stamm, seinen Zweigen, Kelchen, Knospen und Blüten die Gestalt eines Baumes - und zwar des zuerst blühenden, gleichsam eifrigen (Schakud) Mandelbaums (Schkediah, Ex 25,33. 37,19). Durch das Öl für die ständig brennenden Lampen (Ner Tamid, Ex 27,20-21 u. Lev 24,4) stand die Menora außerdem in Verbindung mit dem immergrünen Olivenbaum (Gen 8,11), den der Prophet Sacharja ihm in seiner Leuchter-Vision auch zur Seite stellt (4,3). Durch die botanischen Merkmale erweist sich die Menora als goldene Replik des paradiesischen "Lebensbaums" (Ez Chajim). Es überrascht daher nicht, dass sie seit der Zeitwende gehäuft als Symbol unsterblichen Lebens auf jüdischen Sarkophagen auftrat. Die Menora war bereits in der Bibel ein Symbol nationalen Überlebens. Dem Propheten Sacharja erschien der Leuchter nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil zwischen zwei Olivenbäumen, die seine Lampen dauernd speisen (Kap. 4). Das leuchtende Bild des Überflusses in düsteren und dürftigen Zeiten, sollte den Glaube an den Wiederaufbau des zerstörten Heiligtums stärken. Denn dies werde ungeachtet aller Schwierigkeiten "nicht durch Macht und nicht durch Stärke, sondern", wie dem Prophet gesagt wird, "durch (Gottes) Geist" geschehen. Ähnlich verzweifelt war die Lage, als die siegreichen Makkabäer im 2. Jh. v. den geplünderten und geschändeten Tempel wieder betraten. Es war kein geeigneter Brennstoff da, um das ewige Licht wieder anzuzünden; schließlich tauchte doch noch ein versiegelter Ölkrug mit einer Tagesration auf; aber wie durch ein Wunder brannte das Öl acht Tage lang. In Erinnerung daran zünden wir bis heute während des Chanukka-Festes an acht aufeinander folgenden Abenden Kerzen. Wir verwenden dafür aber nicht einen siebenarmigen Leuchter, der wie alle Tempelgeräte tabu ist (Ex 30,27 ff.), sondern einen speziellen achtarmigen Leuchter. Wir zünden jeden Abend des Festes eine Kerze mehr an und gedenken auf diese Weise des sich täglich mehrenden Wunders. Nicht die makkabäischen Heldensagen, wie sie in den Apokryphen überliefert werden, sondern jenes kleine Licht, das über alle Erwartungen hinaus wieder zum ewigen Licht wurde, hat sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt.

Chanukka ist ein nachbiblisches Fest, doch die Kommentatoren haben dafür biblische Quellen gesucht. Nachmanides fand die Quelle im Gebot an den Hohepriester: "Wenn du die Lampen anzündest, so sollen sie alle sieben nach der Vorderseite des Leuchters hin leuchten" (Num 8,1-4). In der vorangegangenen langen Prozession der Weihegaben der Stammesoberhäupter für das Heiligtum (Num 7, 1-89) hatten Aron und seine Söhne gar keine Rolle gespielt. Der Dienst am Leuchter sollte nach manchen Interpreten den zu kurz Gekommenen trösten (Raschi z. St.). Doch Ramban weist diese, angesichts der zahlreichen Privilegien der Priester, sonderbare Erklärung zurück und zitiert eine Homelie, wonach dies ein Vorzeichen (Remes) der Wiedereinweihung des Tempels durch die Makkabäer sei: "Der Sinn dieser Homelie ist, aus diesem Abschnitt einen Bezug zur Einweihung der Kerzen (Chanukka Schel Nerot) durch Aron und seine Söhne herzustellen, die sich im zweiten Tempel ereignete, will sagen, durch den Hasmonäer, den Hohepriester, und seine Söhne" (Kom z. St.). Damit übergeht Ramban stillschweigend den Skandal der Illegitimität der makkabäischen Hohepriester, die er hier ohne weiteres mit Aron und seinen Söhnen identifiziert. Mit so einer biblischen Legitimation konnten die Makkabäer wieder in die Nationalgeschichte integriert werden, aus der sie die Rabbinen ausgewiesen hatten.

Der Lichterbaum hat bis heute eine bemerkenswerte Metamorphose durchgemacht. Nachdem die Römer den von Herodes bedeutend erweiterten und verschönerten Tempel zerstört hatten, wurde der 7-armige Leuchter im Triumphzug mitgeführt. Eine steinerne Relieftafel auf dem Forum Romanum hat dieses Symbol der jüdischen Niederlage verewigt. Der Staat Israel hat gerade auf diese Darstellung des Leuchters zurückgegriffen, ihn zwischen die Ölzweige Sacharjas gestellt und zum Hoheitszeichen erhoben. Theodor Herzl hatte bereits 1897 in seiner Künstlernovelle im zionistischen Organ, Die Welt, die Menora als Zeichen der nationalen Wiedergeburt empfohlen. Der Baum des Lebens als Symbol der Kolonisierung des Landes und der Heldenepos der Makkabäer als Symbol eines wehrhaften Judentums passten gut zum zionistischen Programm. Einen solchen Künstler hat es dann wirklich gegeben: Benno Elkan (1877-1960), der Schöpfer der Großen Menora von Jerusalem. Dieser jüdische Bildhauer aus Dortmund war einer der führenden Künstler der Weimarer Republik, ehe er nach England emigrieren musste. Er schuf eine ganze Reihe von figurentragenden Leuchtern, so einen Chanukka-Leuchter mit den fünf Makkabäern (1925), den Leuchter des Alten Testaments (1931), der heute neben seinem Leuchter des Neuen Testaments (1939) in der Westminster Abbey steht und ein komplexes typologisches Bildprogramm darstellt. Den Höhe- und Schlusspunkt dieser Reihe bildet die 4,5 m hohe und 3,5 m breite mit 29 Bildreliefs verzierte Große Menora von Jerusalem. Elkan hatte von 1947 bis 1956 fast ununterbrochen an diesem Monumentalleuchter gearbeitet und betrachtete ihn als Krönung seines ganzen Lebenswerkes. 1956 schenkte ihn das britische Parlament dem israelischen Parlament zum 8. Geburtstag und 1966 fand er schließlich seinen heutigen Platz vor der Knesset in Jerusalem. Die Träume Elkans gingen noch weiter: Er wollte, dass der Leuchter in zehn- oder zwanzigfacher Vergrößerung als Kolossal-Kandelaber in einem Hafen Palästinas als "Liberty Statue of Judah in the Holy Land" aufgestellt werde. Aber die Silhouette seines Leuchters, mit den angewinkelten wie zum Gebet erhobenen Armen, hat als Ikone Israels und Jerusalems den halbkreisförmigen Leuchter des Herodes auf dem Forum Romanum fast verdrängt. Im Leuchter Elkans sind der Moses-, der Sacharja-, der Herodes- und der Herzltypus vereint und das Bildprogramm, das ich an einer anderen Stelle entschlüsselt habe1, ist ein dichter Wald von nationalen Symbolen, die von den Vätern über die großen Katastrophen des jüdischen Volkes bis in die Gegenwart ihrer spätesten Nachkommen reicht.

Fußnote
Vgl. meinen Beitrag Die jüdische Freiheitsstatue. Zum Bildprogramm der Großen Menora von Benno Elkan, in: Michael Graetz (Hg.), Ein Leben für die jüdische Kunst. Gedenkband für Hannelore Künzl (Schriften der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg), Carl-Winter-Verlag, 2003, S. 215-233.
Gekürzte Fassung in MATERIALDIENST 1/2004

aus: Jüdisches Leben in Bayern. Mitteilungsblatt des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, Dezember 2005

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