Die Evangelische Kirche der Pfalz veröffentlicht Thesenreihe zu
Israel: Staat - Land - Volk

Bei einer Pressekonferenz im Dezember hat der landeskirchliche Arbeitskreis "Kirche und Judentum" in der Pfalz eine Thesenreihe mit dem Titel "Israel: Staat - Land - Volk" vorgestellt, die nach einem zwei Jahre dauernden Diskussionsprozess nun veröffentlicht worden ist. Die Thesen verstehen sich als Beitrag zum innerkirchlichen Meinungsbildungsprozess angesichts des bis in diese Stunde hinein andauernden, leidvollen Nahost-Konflikts. Die Redaktion

Vorwort von Oberkirchenrat Christian Schad

Wie alle anderen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat auch unsere Landeskirche einen langen Anlauf gebraucht, um nach 1945 - angesichts der Schoa - Schritte der Buße und der Erneuerung in ihrem Verhältnis zum Judentum zu gehen. Erst der 1982 konstituierte Arbeitskreis "Kirche und Judentum" konnte nach intensiven Vorarbeiten 1988 der Landessynode die Arbeitshilfe "Kirche und Israel" vorlegen, die Ausdruck der Umkehr ist und vor allem in Kirchengemeinden, Presbyterien und Bezirkssynoden gründlich diskutiert wurde. Das Ergebnis der Beschäftigung mit dieser Schrift führte im Mai 1990 zu einem Votum der Landessynode, das den Auftrag beinhaltete, eine Ergänzung der Kirchenverfassung, das Verhältnis unserer Kirche zum Judentum betreffend, vorzubereiten. Am 10. Mai 1995 beschloss die Landessynode einstimmig, die Verfassung der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) im § 1 Abs. 3 wie folgt zu ergänzen:

"Durch ihren Herrn Jesus Christus weiß sie (sc. die Landeskirche) sich hineingenommen in die Verheißungsgeschichte Gottes mit seinem ersterwählten Volk Israel - zum Heil für alle Menschen. Zur Umkehr gerufen, sucht sie Versöhnung mit dem jüdischen Volk und tritt jeder Form von Judenfeindschaft entgegen."

In einer 2002 erschienenen Handreichung des Arbeitskreises "Kirche und Judentum" forderte der langjährige Promotor des christlich-jüdischen Dialogs in unserer Landeskirche, Herr Dr. theol. h.c. Hans L. Reichrath: "Die Verfassungsänderung muss Konsequenzen haben. Sie muss in die Praxis unseres kirchlichen Lebens umgesetzt werden. Sie muss zu einem Umdenken führen, weg von den jahrhundertelangen schlimmen theologischen Verirrungen und ihren Folgen für die Juden und die Kirche selbst."

Mit der vorliegenden Thesenreihe "Israel: Staat - Land - Volk" kommt der Arbeitskreis "Kirche und Judentum" einem dringenden Desiderat nach. Fast zwei Jahre hat der interne Diskussionsprozess gedauert, in dem es darum ging, durchaus unterschiedliche Positionen auf ihre Konsensfähigkeit hin zu befragen. Die hier vorgelegte Thesenreihe beschränkt sich einerseits bewusst auf das Thema "Israel" - und nimmt deshalb erst gar nicht in Anspruch, alle in diesem Zusammenhang wesentlichen Aspekte angesprochen bzw. behandelt zu haben. Andererseits wagen sich die gefundenen Formulierungen über eine bloße Beschreibung des Sachverhalts hinaus und wollen im Hören auf das Zeugnis der Heiligen Schrift und in Mitverantwortung für ein friedliches Zusammenleben von Bürgern des Staates Israel und seinen arabischen Nachbarn inhaltlich Orientierung geben:

Die Thesenreihe gliedert sich insgesamt in zwei Abschnitte: in einen eher politisch-historisch argumentierenden ersten und einen stärker theologisch argumentierenden zweiten Teil.

Im ersten Teil (Thesen 1 bis 8) wird die Bedeutung des Staates Israel als "Schutzgehäuse" (Martin Stöhr) für Jüdinnen und Juden gegen Verfolgung betont, dessen Legitimität nach dem Teilungsbeschluss der UN-Vollversammlung von 1948 völkerrechtlich ebenso unbestreitbar ist (vgl. These 2), wie das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat (vgl. These 3). Die Thesen 6 und 7 beleuchten die besondere Verantwortung, die wir als Deutsche und als Christinnen und Christen aufgrund unserer Verstrickung in die Geschichte der Judenfeindschaft haben. Bereits in diesem ersten Hauptteil erweist sich der theologisch verantwortete Umgang mit der Geschichte als cantus firmus dieser Thesenreihe.

Maßstab ihrer theologischen Aussagen im zweiten Hauptteil ist den Verfasserinnen und Verfassern die Auslegung der Bibel, besonders der alttestamentlichen Landnahmetraditionen (vgl. These 9), die durch das Neue Testament nicht einfach überboten oder gar negiert worden sind (vgl. These 10). Auf dieser biblisch-theologischen Grundlage fußt die zentrale Aussage in These 11, die - in Anlehnung an eine Formulierung Schalom Ben-Chorins - von der Staatsgründung Israel metaphorisch als einem "Fingerzeig Gottes" spricht. Die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Textes wählen damit bewusst einen mittleren Weg zwischen der völligen Profanisierung der Geschichte Israels auf der einen (vgl. These 12) - und einer biblizistischen Überhöhung derselben auf der anderen Seite (vgl. These 13). Die politische Größe Israel ist also einerseits theologisch von entscheidender Bedeutung, andererseits aber ist sie weder sakrosant noch gegen Kritik immun.

In diesem Sinn verstehen sich die vorliegenden Thesen ebenso als ein Beitrag zum innerkirchlichen Meinungsbildungsprozess angesichts des bis in diese Stunde hinein andauernden, leidvollen Nahost-Konflikts. Dabei stehen sich auch in unserer Landeskirche zum Teil Menschen, die in der Friedensarbeit und in ökumenischer Verbundenheit mit den Kirchen in Palästina engagiert sind, solchen Christinnen und Christen gegenüber, denen die bleibende Verwurzelung der Kirche im Judentum wichtig ist. Es bleibt zu hoffen, dass das vorliegende Papier mithelfen kann, Positionen nicht auszugrenzen, sondern sie konstruktiv aufeinander zu beziehen.

So bedanke ich mich ausdrücklich bei den Mitgliedern des Arbeitskreises "Kirche und Judentum" für ihr kontinuierliches und sachintensives Mittun. Mein besonderer Dank gilt dem Vorsitzenden, Herrn Pfarrer Dr. theol. Stefan Meißner, der sich mit großer Ausdauer und integrativer Kraft um das Werden dieser Thesenreihe verdient gemacht hat.

Mögen von diesem Text hilfreiche Impulse ausgehen - für das Gespräch zwischen Christen und Juden ebenso, wie für eine sensible und differenzierte Wahrnehmung der Situation im Nahen Osten, die allein Grundlage für ein friedliches Miteinander sein kann.

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